Kurzkrimis

Liebe geht durch den Magen

Ilkas Freundinnen werden nach und nach alle zu Witwen. Auch sie ist mit ihrem Mann Rainer nicht glücklich. Er ist ein typischer Stier, der sie mit seinem geregelten Leben langweilt. Besteht für Ilka Hoffnung auf ein Witwenleben, obwohl ihr Ehemann keine gefährlichen Hobbys hat? Da kommt ihr eine Idee.

Liebe geht durch den Magen

Geld macht erfinderisch

"Seit dein Mann tot ist, siehst du von Tag zu Tag besser aus", sagt Ilka anerkennend zu ihrer Freundin Jenny. "Witwen baden wohl im Jungbrunnen."
Jenny streift ihren schwarzen Mantel ab, unter dem ein buntes Kleid hervorschaut. Ilka beobachtet die Freundin und lacht.
Mit einem Schulterzucken entgegnet Jenny: "Nach außen muss ich wohl die trauernde Witwe spielen. Sonst schöpfen die Nachbarn noch Verdacht. Und das kann ich nicht gebrauchen."
"Nein", stimmt Ilka zu. "Jetzt, wo du endlich mit dem vielen Geld machen kannst, was du willst."
"Und wie sehen deine Pläne aus?" Jenny zwinkert Ilka verschmitzt zu. "Willst du deine Zukunft mit Rainer oder mit Paolo verbringen?"
"Rainer ist so verdammt anhänglich. Er macht keinen einzigen Schritt ohne mich. Kaum kommt er nach Hause, weicht er nicht mehr von meiner Seite. Er will mit mir gemeinsam zu Abend essen. Dann mit mir gemeinsam fernsehen. Dann gemeinsam ins Bett. Alles immer schön gemeinsam. Für Paolo bleibt mir kaum noch Zeit."
Jenny murmelt: "Mist! Eine Kellertreppe habt ihr auch nicht."
"Kellertreppe?" Ilka staunt. "Ich dachte, dein Mann ist ertrunken."
"Ist er ja auch. Aber Sonjas holder Gatte ist im betrunkenen Zustand die Kellertreppe runtergefallen. Dabei hat er sich das Genick gebrochen."
"Wann ist das passiert?"
"Letzte Nacht."
"Warum hat sie es so eilig gehabt?"
"Er hat im Lotto gewonnen und wollte nicht teilen." Jenny empört sich. "Stell dir das mal vor!"

Der Club der Witwen

"Der Club der Witwen wächst rasend schnell." Ilka lacht.
"Es wird Zeit, dass du auch dazugehörst."
"Rainer trinkt kein Bier. Also kann ich ihn nicht im betrunkenen Zustand um die Ecke bringen", grübelt Ilka laut. "Und angeln geht er auch nicht - wie dein Mann. Ihn von einem Fischerboot zu schubsen, fällt also ebenfalls aus."
"Das ist übel. Ich hatte es wirklich leicht mit meinem Mann. Angeln mitten auf dem See, ohne schwimmen zu können. So eine Gelegenheit konnte ich nicht einfach verstreichen lassen."
Die beiden Frauen lachen.
"Hat Rainer kein Hobby, wie Jagen zum Beispiel?", fragt Jenny ratlos. "Da könnte ein Schuss schon mal nach hinten losgehen."
"Du kennst doch Rainer", stöhnt Ilka. "Seine einzige sportliche Betätigung besteht im Messer- und Gabelschwingen. Für ihn ist gutes Essen das Wichtigste im Leben. Ich glaube, er hat mich nur geheiratet, weil ich gut kochen kann."
Jenny stöhnt. "Das klingt nach einem waschechten Stier."
"Rainers Sternzeichen ist Stier", bestätigt Ilka.
Doch plötzlich leuchten ihre Augen auf.
"So wie du aussiehst, hast du eine Idee", stellt Jenny fest.
"Richtig", stimmt Ilka zu. "Ich brauche keine Kellertreppe. Und kein Fischerboot und keine Flinte. Mit Rainer wird es viel einfacher."

Der Plan ist gefasst

Zur üblichen Zeit steht Ilka am üblichen Ort - am Herd. Sie hört das übliche Geräusch: Das Auto fährt vor. Wie üblich parkt Rainer vor dem Haus und kommt durch den Garten hinein. Das ist sein abendlicher Spaziergang und sein tägliches Pensum an frischer Luft. Später darf Ilka den Wagen in die Garage fahren. Wie üblich.
Der Duft in der Küche regt Rainer zu seinem üblichen Gruß an: "Was duftet hier so köstlich?"
Ilka gibt die übliche Antwort: "Dein Abendessen."
Rotgesichtig betritt Rainer die Küche und lässt seinen Blick über die Töpfe wandern.
"Das sieht aber lecker aus."
"Ich habe extra deine Lieblingssuppe gekocht: Bärlauchrahmsuppe."
Rainer lacht zufrieden und setzt sich an den Tisch.
"Womit habe ich diesen Luxus verdient?", fragt er.
Diese Frage ist total unüblich. Sofort kommt Ilka ins Stottern. Warum fragt er so etwas?
"Du verwöhnst mich ganz ohne Grund", hakt er nach und grinst Ilka an. "Das muss Liebe sein."
Ilkas Gesicht beginnt zu glühen.
Zwei gefüllte Suppenteller schweben auf den Tisch.
Rainer freut sich wie ein kleines Kind, reibt sich die Hände, greift nach dem Löffel. Der fällt laut scheppernd auf den Boden und verschwindet unter dem Tisch.

Das Telefon

Das Telefon im Flur fängt an zu läuten.
"Ausgerechnet jetzt", flucht Ilka.
"Gehst du mal ran!", lautet die übliche Bitte von Rainer.
Ilka steht auf und verlässt die Küche. Nur eine halbe Minute später kehrt sie zurück. "Keiner dran!", bemerkt sie.
Endlich kommen die beiden dazu, ihre Suppe zu essen. Ihre Teller sind im Nu leer. Rainer reibt sich über den Bauch und lobt die Kochkünste seiner Frau.
Ilka räumt wie üblich den Tisch ab.
Plötzlich wird ihr ganz übel. Ihr Kreislauf versagt. Sie lässt sich auf ihren Stuhl sinken.
Rainer beobachtet sie.
Überrascht erwidert sie seinen Blick.
"Hast du wirklich geglaubt, ich merke nicht, was du vorhast?", fragt er und schaut sie böse an. "Von wegen Bärlauchrahmsuppe. Heute Morgen hatten wir noch die schönsten Maiglöckchen im Garten stehen. Heute Abend ist kein einziges mehr da."
Rainer hebt seine Hand und zeigt auf sein Handy.
"Das Telefon", röchelt Ilka und versteht. Rainer hat die Teller vertauscht, als sie am Telefon war.

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