Kurzkrimis

Schlangenalarm in Südafrika

Die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika ist in vollem Gange. Ghana spielt gegen Deutschland und liegt zurück. Peter sitzt im Stadion und will nicht tatenlos mit ansehen, wie die Mannschaft aus Ghana verliert. Für ihn hängt viel von einem Sieg dieser Mannschaft ab, also informiert er seine Freunde.

Schlangenalarm in Südafrika

Noch ein Tor

Spielstand "3 zu 1" für Deutschland. Die Mannschaft aus Ghana hat endlich aufgeholt. Dieses eine Tor reicht aber nicht aus.
Nervös reibt sich Peter die Hände an den Hosentaschen ab. Dabei spürt er sein Funkgerät, dessen Einsatz von Minute zu Minute nötiger zu werden scheint. Denn die Ghanaer spielen ein denkbar schlechtes Spiel. So als hätte ihr Bundestrainer vergessen, die Stürmer einzusetzen, setzen sämtliche Spieler nur auf Abwehr, wodurch sie in die Defensive getrieben werden.
Wenn das so weitergeht, wird er seinen Freunden den entscheidenden Befehl erteilen müssen.
Seit der Stationierung der deutschen Marine in Südafrika kennt sich Peter in diesem Landesteil gut aus. Als Ausbilder der südafrikanischen Streitkräfte hat er in diesem Land schneller Freunde gefunden als jemals in seinem eigenen.
Deshalb will er, dass heute im Soccer City Stadium in Johannesburg die Ghanaer gewinnen.
Außerdem hat er darauf gewettet.
Für ihn geht es um viel Geld, wenn sein Favorit verliert.
Wieder fällt ein Tor.
Wieder für die deutsche Mannschaft.
Das ist ausschlaggebend. Bei diesem Torrückstand hat die Mannschaft aus Ghana keine Chance mehr zu gewinnen. Selbst die zweite Halbzeit wird diesen Rückstand nicht ausgleichen können.

Zeit für Taten

Peter nimmt sein Funkgerät aus der Hosentasche und sendet das vereinbarte Signal.
Nun heißt es für ihn nur noch abwarten.
Schon wieder fällt ein Tor. Schon wieder für die Deutschen. Aber das kann Peter nicht mehr tangieren.
Ghana wird trotzdem gewinnen. Die Mannschaft braucht einfach eine zweite Chance.
Plötzlich geht ein Raunen durch die Menge. Der Aufruf über das Mikrofon, Ruhe zu bewahren, hilft nichts.
Das Raunen wird immer lauter.
Gleichzeitig ertönt es auf der gegenüberliegenden Seite der Zuschauerränge. Ebenfalls an einer der kurzen Seiten. Aus dem Raunen wird Schreien, aus Schreien wird eine Massenpanik.
Die Organisatoren des Fußballspiels sind machtlos, als die 80000 Menschen plötzlich im Eiltempo das Soccer City Stadium verlassen wollen.
Um den Schein eines Weltmeisterturniers zu wahren, pfeift der Schiedsrichter das Spiel vorzeitig ab. Doch seine Pfiffe hört niemand mehr. Sogar die Fußballer haben sich bereits in Sicherheit gebracht.
Peter lässt sich von der Menge nach draußen drängen. Erst dort gelingt es ihm, wieder selbst zu entscheiden, wohin er gehen will. Sein Weg führt ihn zu seinen Freunden Nkosi, Mabhoko und Xavier.
Sie schlagen sich gegenseitig in die Hände. Sie sind die einzigen, die herzhaft lachen, wofür sie von vorbeihastenden Menschen böse Blicke ernten.
Den restlichen Tag verbringen sie in der Nähe des Soccer City Stadiums, in der Hoffnung auf neue Meldungen. Bis zum Abend dauert es, als die erhoffte Meldung eintrifft: Das Spiel "Ghana gegen Deutschland" wird am folgenden Mittwoch nachgeholt.
Das ist die Nachricht, auf die Peter gewartet hat.

Tourist in Südafrika

Seit seine Dienstzeit in der Marine vorbei ist, gilt Peter in Südafrika nur noch als Tourist, dessen einzig möglicher Aufenthaltsort in Johannesburg das Hotel ist. Und dieses Hotel sucht Peter auf, um sich dort in aller Ruhe auf das neu angesetzte Spiel "Ghana gegen Deutschland" vorzubereiten.
Die Ursache für die Massenpanik ist inzwischen geklärt. Radio und Fernsehen berichten von nichts anderem. Es wurden drei Kap-Kobraschlangen gefunden, die gefährlichste Giftschlangenart Südafrikas. Ihr Biss verursacht Muskellähmungen und Atemstillstand mit anschließendem Herzversagen.
Peter staunt nicht schlecht.
In vielen Religionen wird die Schlange als Gottheit verehrt. Schlangen sind klug, Schlangen schauen instinktiv "hinter die Kulissen" und haben damit den Vorteil, Situationen sofort analysieren zu können.
Die Symbolik seiner Tat ist unverkennbar. Peter lacht.
Haben Menschen etwas zu verbergen, weichen Sie der Schlange besser weiträumig aus. Ihre Fähigkeit umgibt die Schlange mit einer gewissen Aura, die Furcht erwecken kann.
Peter kennt das Chinesische Horoskop und weiß um die Bedeutung der Schlange. Trotzdem befürchtet er, dass seine Freunde mit der Wahl dieser Giftschlange ein bisschen zu weit gegangen sind.

Aus Spaß wird Ernst

Peter lauscht weiter den Nachrichten, bis die Schreckensbotschaft eintrifft, auf die er lieber verzichtet hätte. Ein Mann ist im verlassenen Soccer City Stadium tot aufgefunden worden. Todesursache ist nicht die Massenpanik, sondern eindeutig der Biss einer Kap-Kobra.
Jetzt geht es nicht mehr nur um einen harmlosen Streich. Jetzt geht es um Mord.
Peter wird nervös. Er kann nicht mehr ruhig sitzen.
Er verlässt sein Hotelzimmer, steuert seinen Mietwagen an und fährt damit zügig zu seinen Freunden Nkosi, Mabhoko und Xavier, die zu dritt am Rand von Soweto, einem Stadtteil von Johannesburg, wohnen. Ihre Behausung gehört nicht gerade zu den nobelsten, denn ihre Arbeit im Schlangengehege wird nicht gut bezahlt.
Aber an diesem Abend ist alles festlich erleuchtet. Peter ärgert sich über die Sorglosigkeit seiner Freunde. Wie können sie so unvorsichtig sein? Wütend stellt er das Auto ab und stürmt in die kleine Behausung der drei Freunde.
Dort erlebt er eine Überraschung. Drei Polizisten halten ihre Waffen auf Peters Freunde gerichtet.
Peter kommt nicht dazu, über eine Flucht nachzudenken, schon stößt ihn ein vierter Polizist in die Stube hinein.
"Glauben Sie, dass wir nicht dahinter kommen, wer solche gefährlichen Schlangen in ein Fußballstadion transportieren kann?", fragt einer der Uniformierten. "Wer mit Giftschlangen arbeitet, wird von uns genau beobachtet."
Peter stöhnt innerlich. Daran hat er nicht gedacht.
"Und außerdem muss ich Sie enttäuschen, deutscher Mann", spricht der Polizist weiter. "Das Spiel 'Ghana gegen Deutschland' wird nicht neu angepfiffen. Es wird dort weitergespielt, wo das Spiel unterbrochen worden ist."
Peter glaubt nicht, was er da hört.
"Sie haben umsonst das Leben eines Menschen aufs Spiel gesetzt."

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