Kommissar Horst wird zu einem Tatort gerufen, einer Blockhütte hoch oben in den tief verschneiten Bergen. Dort findet er Blutspuren im Schnee, die ihn zu einem kleinen Schuppen führen. Vorsichtig öffnet er die Tür. Was erwartet ihn dort? Was ist mit der attraktiven Bewohnerin Sibylle geschehen?
Die reinste Schneewüste erstreckte sich vor seinen Augen. Alles schimmerte
weiß. Die Bäume wirkten wie mit einem Zuckerguss überzogen,
ihre Äste trugen schwer an der weißen Last. Die Dächer der Holzhütten
sowie der kleinen Schuppen direkt daneben versanken in der weißen Masse.
Der Anblick hätte einem Postkartenidyll entsprungen sein können, wäre
da nicht dieser dunkle Fleck. Dunkel und erschreckend stach eine rote Spur vom
jungfräulichen Weiß ab. Eine Spur, die sämtliche Gedanken an
Idylle vertrieb.
Das war der Grund, warum Kommissar Horst hier stand.
Einige aufmerksame Touristen aus den benachbarten Hütten hatten ihn gerufen,
weil sie diese Blutspuren im Schnee entdeckt hatten. Hinzu kam, dass in der
Hütte direkt davor kein Lebenszeichen mehr zu hören war.
Die Mieterin dieser kleinen Blockhütte hieß Sibylle und kam aus der
Stadt. Kommissar Horst kannte sie nicht. Er hatte nur von seinen Kollegen erfahren,
dass sie außergewöhnlich hübsch sei. Eine Tatsache, die für
eine Frau allein in der Abgeschiedenheit im Schnee gefährlich werden könnte.
Nur deshalb war er dem Notruf unverzüglich gefolgt.
Und nun stand er hier vor der schrecklichen Blutspur.
An der Blockhütte hatte er mehrmals angeklopft. Geöffnet hatte ihm
niemand. Seine Blicke durch die kleinen Fenster verrieten ihm jedoch, dass die
Hütte bewohnt war.
Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als diese Tragödie geschah.
Mühsam löste er seine Augen von der großen Blutlache und schaute
sich in der Gegend um. Ein Hackblock stand direkt vor ihm mit Spuren von Axthieben
darauf. Ebenso Spuren von Blut. Hier hatte das Massaker also stattgefunden.
Ihm graute.
Die Stille, die ihn umgab, wirkte in diesem Augenblick bedrohlich. Was sollte
er tun, wenn er hier auf ein Verbrechen gestoßen war - der Täter
aber immer noch am Tatort verweilte? Es war durchaus möglich, dass dieser
noch nicht verschwunden war, denn die Schneemassen machten eine Flucht fast
unmöglich.
Er schüttelte den Gedanken rasch ab. Er war Polizist. Also musste er sich
dieser Situation stellen. Zu genau wusste er, dass in den umliegenden Blockhütten
alle Fenster von Neugierigen belagert wurden. Welchen Eindruck würde es
machen, wenn er sich einfach davonmachte?
Also schaute er genauer hin.
Zu seinem Entsetzen entdeckte er Blutstropfen im Schnee, die ihm den Weg zum
Schuppen aufzeigten. Er folgte der Spur. Dabei sank er mit jedem Schritt laut
knackend in die tiefe weiße Masse ein. Der kurze Weg war so anstrengend,
dass er heftig schnaufte, als er am Eingang des Schuppens ankam. Dort fand er
noch mehr dieser Blutstropfen, die eine weitere Blutlache gebildet hatten.
Sollte sich der Täter dort verschanzen, hatte er Kommissar Horst spätestens
jetzt laut und deutlich vernommen. Ein Anschleichen war unter solchen Bedingungen
einfach nicht möglich.
Aber einen Hoffnungsschimmer gab es noch. Vielleicht hatte sich die Touristin
Sibylle vor dem Angreifer retten können, indem sie sich in dem Schuppen
versteckte.
Der Gedanke gefiel ihm wesentlich besser.
Eine Weile lauschte Kommissar Horst.
Nichts.
Unbehagen machte sich in ihm breit.
Es wäre ein dummer Fehler, jetzt einfach diesen Schuppen zu betreten. Sollte
der Verbrecher hinter dieser Tür ausharren, würde er nur auf den Kommissar
warten und ihm mit der Axt den Schädel spalten.
Aber andererseits könnte auch Sibylle in diesem Schuppen liegen und verzweifelt
um ihr Leben ringen.
Er spürte eine innere Zerrissenheit, die es ihm unmöglich machte,
spontan zu handeln. Wie ein Feigling stand er vor der Tür zum Schuppen,
fühlte sich mal angezogen und dann wieder abgeschreckt.
Er vernahm kein einziges Lebenszeichen - weder im Schuppen noch um ihn
herum. Nur Stille und weiße Landschaft und diese entsetzlichen Blutspuren
im Schnee.
Der Schuppen grenzte direkt an die Blockhütte. Kommissar Horst stand in
einer windgeschützten Ecke. Trotzdem kroch ihm eisige Kälte durch
die Glieder.
Er nahm allen Mut zusammen und klopfte an.
Es ertönte kein freundliches "Herein", wie er schnell feststellen
musste. Von innen kam gar nichts.
Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spalt. Es war düster im Innern.
Vom Schnee geblendet brauchten seine Augen eine Weile, bis sie sich an die Dunkelheit
gewöhnten.
Da sah er etwas.
Still und starr stand eine vermummte Gestalt am anderen Ende des Schuppens.
In der Hand hielt sie die Axt.
Kommissar Horst spürte, wie ihm das Adrenalin durch die Adern schoss. Er
zog seine Waffe aus seinem Holster. Im gleichen Augenblick schwang die Gestalt
ihre Axt und schleuderte sie ihm entgegen. Kommissar Horst wich in letzter Sekunde
aus, sah, wie der messerscharfe, stählerne Keil sich direkt neben ihm tief
ins Holz bohrte.
Hastig richtete er den Blick wieder auf und sah, wie die Gestalt davonrannte.
"Halt bleiben Sie stehen!", rief er, bewirkte aber nichts. Schnell
jagte er hinterher und rief nochmals "Stehenbleiben!" Aber die Gestalt
rannte weiter.
In seiner Hilflosigkeit feuerte Kommissar Horst zweimal in Richtung Decke, während
er die Verfolgung aufnahm.
Die Gestalt blieb so abrupt stehen, dass Kommissar Horst nicht mehr rechtzeitig
abbremsen konnte. Zusammen gingen sie zu Boden und begannen zu kämpfen.
Doch Kommissar Horsts Gegner hatte keine Chance. Rasch zog er ihm die Maske
vom Kopf und schaute in das Antlitz einer blonden, hübschen Frau.
"Sibylle?", fragte er erstaunt.
"Ja! Was dachten Sie denn?"
"Ich habe Blutspuren im Schnee gesehen und musste wohl von einem Verbrechen
ausgehen", erklärte Kommissar Horst. "Aber Sie sehen unversehrt
aus. Was ist passiert?"
"Ich habe ein Huhn geköpft", antwortete Sibylle grimmig. "Von
irgendetwas muss man in dieser Einöde doch leben."
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