Rolf ist ein Nachbar, wie ihn sich keiner wünscht. Ständig meckert er herum, jedes Kindergeschrei bringt ihn gleich auf die Palme. Ausgerechnet an Ostern fasst Herbert den Beschluss, das dieser Streit ein Ende haben muss. Darüber vergisst er allerdings das Fest. Ob sich seine Kinder darüber freuen werden?
Der Schuss schallt laut in seinen Ohren. Herbert zuckt erschrocken zusammen.
Es ist noch früh am Morgen. Hoffentlich schlafen alle tief und fest und
haben nichts gehört.
Vor ihm liegt sein Nachbar Rolf am Boden. Seine Augen sind geöffnet. Ein
kleines Blutrinnsal läuft aus dem kleinen Loch in der Schläfe, das
er ihm gerade verpasst hat.
Endlich ist der Nachbar ruhig!
Herbert steigt über den Toten hinweg und geht zum Fenster. Alles wirkt
friedlich und still. Vermutlich ist nur ihm selbst der Schuss so laut vorgekommen.
Denn, so wie es aussieht, hat niemand etwas bemerkt.
Er wiegt seinen Revolver in der Hand. Das ist das einzige Beweisstück,
das ihn mit dem Mord an dem streitsüchtigen Nachbarn in Verbindung bringen
kann. Also muss das Ding verschwinden.
Er verlässt das Haus und läuft in den Wald, der dicht an die Häuserreihe
angrenzt, in der er mit seiner Familie schon seit vielen Jahren wohnt. Es dauert
eine Weile, bis er ein geeignetes Plätzchen gefunden hat. Mit nur wenigen
Handgriffen hebt er ein Loch aus, das tief genug ist, um den Revolver zu verscharren.
Zufrieden kehrt er nach Hause zurück.
Er öffnet die Haustür und wird von seinen beiden Kindern überrascht.
Was tun sie schon so früh auf den Beinen? Herbert ist fassungslos. Haben
sie doch etwas gehört?
"Papa, Papa", ruft seine fünfjährige Tochter voller Übermut.
"Hast du den Osterhasen gesehen? Der hat uns bestimmt etwas im Wald versteckt."
"Der Papa hat etwas für uns im Wald versteckt, weil es gar keinen
Osterhasen gibt", korrigiert der ältere Bruder und macht dabei ein
schlaues Gesicht.
Sofort verzieht die Tochter ihr Gesicht. Sie steht ganz kurz vor einem Weinkrampf.
Aber dem kann die Mutter abhelfen, indem sie sagt: "Dein Bruder redet
nur dummes Zeug. Natürlich war der Osterhase schon früh auf den Beinen,
um euch ein Nest in den Wald zu legen. Frag den Papa, der kann das bestätigen."
Herbert fühlt sich überrumpelt. Er hat das Osterfest vergessen. Als
seine Frau ihn mit dem Ellenbogen anstößt, um ihre Worte zu bestätigen,
sagt er hastig: "Oh ja! Der Osterhase war schon sehr fleißig."
"Hast du ihn gesehen?", fragt die Tochter mit großen Augen.
"Ja", stammelt er unkonzentriert. "Aber er war schon ganz
weit weg - auf dem Weg zu den nächsten Kindern."
Das kleine Mädchen ist zufrieden. Sie ergreift die Hand ihres Bruders und
geht mit ihm los, um mit der Eiersuche zu beginnen.
Herbert und seine Frau Isolde stehen vor der Haustür und schauen ihnen
nach, wie sie im Wald verschwinden.
Plötzlich kommt ein Polizeiwagen mit Blaulicht. Im Schritttempo fährt
es an ihrem Haus vorbei und hält am Nachbarhaus an. Zwei Polizeibeamte
steigen aus und gehen auf das Haus zu.
"Was hat Rolf wieder angestellt?", hört Herbert seine Frau
fragen. Ihm fehlen die Worte. Er kann es nicht fassen. Wie sind sie so schnell
dahintergekommen? Hat jemand den Schuss gehört?
"Eigentlich ist es schon verdächtig, wenn Rolf sich ruhig verhält",
meint Isolde. "Normalerweise hätte er unsere Kinder angeschrien,
weil sie heute Morgen so laut waren."
"Du hast recht", reagiert Herbert auf die Kommentare seiner Frau.
"Wenn Rolf ruhig ist, stimmt etwas nicht."
Noch mehr Wagen fahren vor. Immer mehr Polizeibeamte versammeln sich am und
im Nachbarhaus.
"Da muss etwas passiert sein." Isoldes Stimme klingt atemlos.
Über den Zaun hinweg können sie erkennen, dass das Haus mit Polizeiabsperrband
gesichert wird. Einige Männer, die aussehen, als hätten sie Astronautenanzüge
an, gehen mit Suchgeräten durch den Garten.
"Was suchen die denn?", fragt Isolde ganz aufgeregt.
"Keine Ahnung", gestand Herbert.
Ein Polizeibeamter schaut plötzlich über den Gartenzaun genau in
Herberts Richtung. Ihre Blicke treffen sich. Das veranlasst den Beamten, Herbert
und Isolde aufzusuchen. Mit großen Schritten nähert er sich den beiden
und reicht ihnen seine Hand.
"Was ist mit unserem Nachbarn passiert?", fragte Isolde zur Begrüßung.
"Ein Freund wollte ihn besuchen und fand ihn tot in der Küche."
Isolde hält sich erschrocken die Hände vors Gesicht.
Herbert spürt, wie ihm schlecht wird. Er hat in der Eile vergessen, Rolfs
Haustür richtig zuzuziehen. Hoffentlich hat er nicht noch mehr Fehler gemacht.
"Nach unseren Ermittlungen ist er in den frühen Morgenstunden erschossen
worden", berichtet der Kommissar weiter.
Isolde stößt einen Schrei des Entsetzens aus.
"Haben Sie einen Schuss gehört?"
Gemeinschaftliches Kopfschütteln ist die Antwort.
"Haben Sie jemanden bemerkt, der sich auffällig benommen hat?"
"Du warst heute Morgen sehr früh im Wald, um Ostereier für die
Kinder zu verstecken. Hast du jemanden gesehen?" Mit diesen bedeutungsschweren
Worten wendet sich Isolde an ihren Mann.
Herbert ärgert sich über seine Frau. Aber er verhält sich neutral
und brummt: "Nein!"
"Halb so schlimm!" Der Kommissar winkt ab. "Wir müssen
nur die Tatwaffe finden, schon haben wir unseren Täter."
Er dreht sich um, will wieder zum Nachbarhaus zurückgehen, als ein lautes
"Mama! Papa!" erschallt.
Herberts Kinder.
"Schaut mal, was der Osterhase für uns versteckt hat!"
Die beiden Kinder kommen mit hochroten Gesichtern angelaufen. Sein Sohn hält
den Fund ganz stolz in die Höhe. Was er gefunden hat, ist kein Osterei,
sondern ein Revolver.
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