Der Bundespräsident überrascht die Öffentlichkeit mit seiner unerwarteten Rücktrittserklärung. Gründe dafür nennt er nicht, was die Journalisten zu wilden Spekulationen antreibt. Nur ein Reporter kümmert sich nicht um die Sensationsmeldungen. Was weiß er, was seine Kollegen nicht wissen?
Zögerlich betrat der Bundespräsident Ernst Habermann den großen
Saal von Schloss Bellevue. Sein Blick wirkte gehetzt, seine Schritte steif und
verkrampft. Begleitet wurde er von einem Sicherheitsbeauftragten, den noch nie
jemand neben dem Bundespräsidenten gesehen hatte. Er stellte sich ans Rednerpult
und eröffnete seine Rede mit den Worten: "Mit sofortiger Wirkung
erkläre ich...", er zögerte, "...meinen Rücktritt
vom Amt des Bundespräsidenten."
Das Staunen in der Menge war groß. Niemand hatte mit so etwas gerechnet.
Eine Schrecksekunde dauerte es, bis die erste Frage laut wurde: "Warum?"
Doch zu einer Antwort kam der Bundespräsident nicht mehr, schon wurde er
von dem fremden Sicherheitsbeauftragten aus dem Saal hinausgeschoben.
Unter den Journalisten sollte nicht lange Ratlosigkeit herrschen, schon erklangen
die ersten Vermutungen zu dem überstürzten Rücktritt.
"Es liegt bestimmt an seiner Aufforderung, die Soldaten aus Afghanistan
zurückzuziehen", spekulierte Johannes.
"Warum sollte das ein Grund für einen Rücktritt sein?",
fragte sein Kollege Bernd.
"Weil Afghanistan für Deutschland seit gestern sehr interessant geworden
ist."
"Das verstehe ich nicht", bekannte Bernd.
"Ganz einfach: Nachdem unser Bundespräsident den Abzug der deutschen
Soldaten gefordert hat, wurden in Afghanistan Bodenschätze von unschätzbarem
Wert entdeckt."
"Und was hat das mit seinem Amt als Bundespräsident zu tun?"
"Nach der Wirtschaftskrise kann Deutschland es sich nicht leisten, eine
solche Goldgrube anderen Ländern zu überlassen."
"Aber", Bernd stutzte, "als der Bundespräsident den Abzug
der deutschen Soldaten gefordert hat, wusste er doch noch gar nichts von den
Bodenschätzen."
"Er hätte seine Forderung nachträglich zurücknehmen können.
Das hat er aber nicht getan."
"Trotzdem wirkte seine Rücktrittserklärung nicht freiwillig",
erwiderte Bernd. "Und dieser Sicherheitsbeauftragte! Der sah aus wie dein
Bruder Karl."
"Das soll nicht deine Sorge sein." Johannes warf Bernd einen warnenden
Blick zu.
Sie verließen den Saal und steuerten den Ausgang des Schlosses an.
"Wie geht es jetzt weiter?", fragte Bernd.
"Neuwahlen! Was sonst?", entgegnete Johannes. "Ich weiß
auch schon, wer als Kandidat in Frage kommt."
"Das geht aber schnell! Wie kommt es, dass du immer so viel besser informiert
bist als deine Kollegen?"
Johannes grinste selbstgefällig und antwortete: "Vielleicht passe
ich besser auf als ihr."
Vor dem Schloss Bellevue stießen sie auf die nächste Überraschung.
Viele Journalisten standen dort mit erhobenen Mikrofonen, die sie auf einen
Mann richteten, den sie in der großen Menschenmenge nicht erkennen konnten.
"Unser neuer Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten",
sagte Johannes in das erstaunte Gesicht seines Kollegen.
"Wie ist das in dieser kurzen Zeit möglich?"
"Wenn es schnell gehen muss, geht alles", erklärte Johannes.
"Denn Deutschland muss geschwind die Handelswege nach Afghanistan militärisch
schützen. Wenn wir zu lange warten, haben sich die anderen Länder
an den Bodenschätzen bedient und wir gehen leer aus."
"Das heißt also im Klartext, dass wir uns am Afghanistan-Krieg nur
noch aus wirtschaftlichen Interessen beteiligen."
Johannes nickte.
"Dann ist der Bundespräsident womöglich aus moralischen Gründen
zurückgetreten, weil er diese Form der Kriegsführung nicht befürwortet",
spekulierte Bernd.
"Frag ihn am besten selbst", wich Johannes der Mutmaßung seines
Kollegen aus. "Ernst Habermann wird dir die Antwort geben."
"Und wer ist der neue Kandidat?"
"Klaus Maria Schüttler! Ein guter Mann."
"Das ist doch unser ehemaliger Verteidigungsminister!" Bernd bekam
vor Schreck einen Schluckauf. "Und zufällig dein Schwager!"
"Genau der!" Johannes grinste.
"Deshalb bist du besser informiert als die anderen." Bernd ging
ein Licht auf.
"Pass auf, was du sagst!", drohte Johannes unmissverständlich.
Erschrocken entfernte sich Bernd.
Johannes schaute ihm nach, wie er sich in der Menge nach vorne drängte,
um einen guten Platz für sein Interview zu erhaschen. Der Anblick der Bemühungen
des Kollegen amüsierte ihn, weil er selbst die Antworten schon lange wusste.
Sein Artikel lag bereits druckfertig in der Redaktion seiner Zeitung.
Für ihn standen neue Aufgaben an - interessantere.
Langsam entfernte er sich von der Gruppe, die neben Journalisten auch immer
mehr Schaulustige anlockte.
"Hey Kumpel, wo willst du hin?", rief ein junger, ehrgeiziger Reporter.
"Zur Show geht es in die andere Richtung."
"Oder hast du schon alles im Kasten?", fragte ein anderer.
"Bei dem Kandidaten wäre das ja kein Wunder", fügte eine
junge Kollegin an.
Johannes erkannte, dass er den Menschenmassen besser folgen sollte. Niemandem
durfte auffallen, dass er genau dann verschwand, als es interessant wurde. Eine
Weile schaute er sich das Treiben an, bis er sich unbeobachtet fühlte.
Er wagte einen neuen Versuch, sich vom Ort des Geschehens zu entfernen.
"Johannes", schrie ihm jemand hinterher.
Wie ertappt schaute sich der Gerufene um.
Vor ihm stand sein Bruder Karl.
"Was tust du denn hier?", fragte Johannes erschrocken. "Du
weißt doch, dass du dich hier nicht blicken lassen darfst."
"Es gibt ein Problem", gestand Karl.
"Was für ein Problem? Ist er dir entwischt?"
"Nein! Am besten ist es, du schaust es dir selbst an."
Sie steuerten das alte Fabrikgebäude an, das seit Jahren stillgelegt war.
Schon von Weitem konnte Johannes ihn sehen. Er saß auf seinem Stuhl, wie
sie es vereinbart hatten. Doch als er näher trat erkannte er, was seinen
Bruder beschäftigte: Ernst Habermann war tot. Er hatte sich mit seinen
Fesseln selbst stranguliert.
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