Peter wird beerdigt. Viele Gäste haben sich an seinem Grab eingefunden. Doch seine Frau liegt in den Armen eines anderen Mannes, seines besten Freundes. Ist sie wirklich erschüttert über seinen plötzlichen Tod? Sucht sie nur Trost und Unterstützung, oder steckt vielleicht etwas anderes dahinter?
"Asche zu Asche - Staub zu Staub!"
Es war ein seltsames Gefühl, auf der eigenen Beerdigung zu stehen. Ich
schaute mich um und stellte fest, dass mich niemand erkannte. Na ja, mit Perücke
und Bart... Ich musste an alles denken, denn ich wollte mich ungeniert zwischen
den Trauernden bewegen können. Natürlich hatte ich Mühe, bei
dieser Heuchelei nicht zu kotzen. Denn ich sah hier niemanden, dem wirklich
etwas an mir gelegen hätte.
Meine liebreizende Frau weinte herzzerreißend, dabei war sie es, die mir
den Todesstoß gegeben hatte. Wenn Kathrin wüsste, wen sie die Kellertreppe
hinuntergestoßen hatte...
Aber die Frechheit, meinen Tod als sinnlosen Unfall abzustempeln, ärgerte
mich noch mehr als die Tatsache, dort beerdigt zu werden. Niemals würde
ich mich so hinterhältig aus dem Leben drängen lassen. Niemals.
Mein Plan stand fest. Ich würde für Gerechtigkeit sorgen.
Kathrin lehnte sich an Paul. Ich traute meinen Augen nicht. Ausgerechnet Paul!
Die Vertrautheit zwischen den beiden. Die Intimität. Wie lange ging das
schon so?
Die salbungsvollen Worte des Pfarrers endeten plötzlich. Überall entstand
Bewegung. Die Leute steuerten zielstrebig mein Grab an. Mein Grab! Wie das klang!
Und ich steckte so fest mitten im Pulk, dass ich keine andere Chance sah, als
mir selbst meine letzte Ehre zu erweisen.
Kaum am Grab angekommen, traf mich Entsetzen. Ein tiefes Loch gähnte mir
entgegen. Darin stand ein Eichensarg mit kupfernen Beschlägen, was wohl
stilvoll aussehen sollte. Mir schlug die Verschnörkelung auf den Magen.
Denn derjenige, der da drin lag, hatte nichts davon. Und ich, der Hauptdarsteller
dieser Beerdigung, erkannte mit Schrecken, dass mir im Tod mehr Respekt entgegengebracht
wurde als zu Lebzeiten.
"Hast du meinen Mann gekannt?"
Die bekannte Stimme riss mich aus meinen morbiden Gedanken. Vor mir stand meine
Frau. Kein Funke des Erkennens. Nur gespielte Trauer, denn Paul hielt Kathrin
auf eine Art und Weise fest, dass es ordinär aussah. Er umklammerte ihre
Taille, oder was er dafür hielt, denn seine Hand lag direkt unter Kathrins
Brust.
"Ich war ein guter Freund von Peter", antwortete ich mit übertriebenem
Räuspern. Ich wollte verhindern, dass sie mich an meiner Stimme erkannte.
"Wir wollen für Peter einen Leichenschmaus abhalten. Wenn du ein
guter Freund von ihm warst, dann bist du natürlich eingeladen." Ihre
Augen strahlten mich an. Mein Gott, sie war immer noch so schön wie an
unserem ersten Tag. Was war nur in unserer Ehe passiert?
Schweigsam folgte ich der Menge in mein Haus. Direkt neben der Haustür
gähnte der Schlund der Kellertreppe. Jeder warf einen vielsagenden Blick
hinein, schüttelte traurig den Kopf und ging weiter. So auch ich.
Das war wohl genug der Trauer, denn anschließend wurde ausschweifend getrunken,
gegessen und gelacht. Ja, gelacht!
Ich war entsetzt über so viel Pietätlosigkeit.
Aber was hatte ich auch erwartet?
Stillschweigend wartete ich ab, bis sich die lustige Gesellschaft wieder auflöste.
Mit meiner Frau hatte ich noch etwas geplant.
Doch schnell stellte sich heraus, dass für Kathrin die Trauerfeier mit
Paul weitergehen sollte. Sie sah uns nach, wie wir die Haustür ansteuerten.
Die Tür fiel geräuschvoll ins Schloss. Nur mit dem feinen Unterschied,
dass ich die Tür von innen zuwarf, nicht von außen.
Kaum war Ruhe eingekehrt, fiel Paul liebeshungrig über meine Ehefrau her.
Ich konnte es nicht fassen. Da stand ich hinter dem Kühlschrank und schaute
Paul zu, wie er meine Frau verführte. Zu meinem Entsetzen konnte ich ihn
gut verstehen! Ich hätte es genauso gemacht.
Hinterher zog sich Kathrin ihre hastig abgestreiften Trauerkleider wieder an
und befahl Paul, sich ebenfalls anzuziehen und zu verschwinden.
"Warum hast du es plötzlich so eilig?", stellte Paul eine Frage,
die mich hinter dem Kühlschrank auch beschäftigte.
"Wenn jemand vorbeikommt und uns beide sieht, kommt er vielleicht auf
den Gedanken, dass Peter nicht zufällig die Treppe hinuntergefallen ist",
erklärte Kathrin.
"Ist er das denn nicht?"
Jetzt wurde es interessant. Doch Kathrin konnte schon immer vom Thema ablenken:
"Wenn der Pfarrer gleich kommt, muss er dich hier nicht sehen!"
Paul tat wie geheißen und eilte zur Haustür.
"Wann sehen wir uns wieder?", hauchte er meiner Frau ins Ohr.
"Morgen, mein Liebling! Und übermorgen und überübermorgen."
Verliebt küssten sie sich zum Abschied.
Kathrin blieb noch eine Weile hinter der zugefallenen Haustür stehen -
mit dem Rücken zur Kellertreppe. Ihr Blick wirkte schwärmerisch.
Das war die Gelegenheit.
Ich nahm meine Perücke ab, zupfte meinen künstlichen Bart aus dem
Gesicht und trat hinter dem Kühlschrank hervor.
Mit einem Räuspern näherte ich mich ihr.
Kathrin drehte ihren Kopf in meine Richtung und schaute mich an. Ihr Gesicht
wurde schlagartig kalkweiß. Atemlos stieß sie hervor: "Peter..."
Doch weiter kam sie nicht. Vor Schreck fiel sie rückwärts
die Kellertreppe hinunter.
Nun musste ich nicht länger allein in meinem Grab liegen, dachte ich schmunzelnd.
Die Rolle meines Zwillingsbruders Patrick anzunehmen, fand ich inzwischen gar
nicht mehr so schlecht. Ob es in seinem Leben auch eine Frau gegeben hatte?
Ich würde wohl nachsehen müssen. Vielleicht hatte Kathrin mir sogar
einen Gefallen getan, als sie irrtümlich Patrick die Kellertreppe hinuntergestoßen
hatte.
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