Kurzkrimis

Der Wassermann

Es ist rätselhaft: Mehrere Kanalarbeiter sind in der Kanalisation der Stadt spurlos verschwunden. Der Vorarbeiter Hans Korte ruft die Polizei zu Hilfe. Mutig uns ohne Scheu machen sich die Beamten an die Ermittlungsarbeit in der ungewohnten Umgebung. Was oder wen werden sie dort unten finden?

Der Wassermann

Das geheimnisvolle Loch

Drei Männer standen vor einem Loch, das tief in die Erde führte. Es war ein Eingang in die Kanalisation der Stadt. Der Deckel lag auf der Seite und gab den Blick in die Tiefe frei. Eine schmale Treppe aus dünnen eisernen Streben war dort befestigt. Die Stufen führten so tief hinab, dass von oben nicht zu erkennen war, was sich auf dem Grund befand.
Hauptkommissar Dittmer beugte sich nach vorne, um etwas sehen zu können. Doch die Dunkelheit verschluckte alles.
Daraufhin zog Kommissar Helmer seine Taschenlampe heraus, schaltete sie ein und hielt sie in den Schacht. Nun erst sahen sie dort unten einen Seitengang, der in das Labyrinth unterirdischer Kanäle führte.
"Und Sie sagen, dass zwei Ihrer Kanalarbeiter in das Loch gestiegen sind, um die Kanalisation zu prüfen, und nicht mehr zurückkamen?", vergewisserte sich Dittmer bei dem Vorarbeiter Hans Korte, der ihn gerufen hatte.
Der Mann nickte.
"Sie glauben also, dass den Männern dort unten etwas passiert ist?" Dittmers Tonfall klang ungläubig. Er schaute sich Hans Korte genauer an. Er kam ihm bekannt vor.
"Ja!"
"Gibt es weitere Zugänge zu diesem Schacht?"
"Es gibt nur noch einen Ausgang, sonst nichts."
"Haben Sie dort mal nachgesehen? Vielleicht haben sich Ihre Männer dort unten einfach nur abgesprochen, weil sie die Nase voll hatten, und sind durch diesen Ausgang geflüchtet."
"Das habe ich überprüft. Dort ist niemand herausgekommen."
"Sind Sie denn von der anderen Seite mal hineingegangen?"
"Nein", gestand Hans Korte. "Ich hatte Angst, dass mit mir das dasselbe passieren könnte wie mit den Kollegen."
Dittmer und Helmer studierten den Plan, den sie vor sich auf dem Boden ausbreiteten. Darauf war die gesamte Kanalisation der Stadt mit sämtlichen Abwasserkanälen abgebildet. Sie lokalisierten ihren Standort und fanden sofort die unterirdischen Gänge, die es zu sanieren galt. Nur fünfhundert Meter weiter lag der Ausgang an einem Flussufer, einem natürlichen Vorfluter. Das Ufer war flach und gut zu begehen.
"Also gut! Sie werden zum anderen Ende gehen und dort auf mich warten...", begann Dittmer.
"Sagen Sie nur, Sie wollen da wirklich hinuntersteigen?", fiel ihm Hans Korte ins Wort.
"Sie haben mich doch gerufen, damit ich herausfinde, was mit Ihren Mitarbeitern passiert ist. Wie soll ich das anstellen, ohne dort hineinzugehen?"
"Stimmt! Also warte ich am anderen Ende auf Sie", lenkte Hans Korte schnell ein.
"Und Sie warten hier!", wandte sich Dittmer an Helmer.
Der Kollege nickte.
"Sollte ich - wider Erwarten - weder auf der einen Seite noch auf der anderen herauskommen, rufen Sie sofort meinen Kollegen Helmer an, und umgekehrt." Dittmer schaute beide Männer an, die ihm signalisierten, dass sie verstanden hatten.
"Und was mache ich dann?", fragte Helmer verunsichert.
"Sie rufen die Geisterjäger oder Hexenbeschwörer oder so etwas." Dittmer lachte. "Es könnte auch das Ungeheuer von Loch Ness sein. Vielleicht hat es sich ja hierher verirrt."

Kommissar Dittmer steigt in die unheimliche Tiefe

Dittmer stieg in die Tiefe.
Es roch nach Kloake. Der Schein der Taschenlampe zeigte nackte Betonwände und braune Rinnsale. Rohre verliefen in Höhe seines Kopfes an den Wänden entlang. Er musste sich bücken. Ratten huschten über seine Füße. Er zuckte erschrocken zusammen. Endlich gelangte er an den Hauptkanal der Stadt. Hier konnte er aufrecht stehen. Wie ein breiter Fluss offenbarte sich ihm die stinkende Brühe. Die Wände waren nicht mehr aus Beton, sondern aus Sandstein. Viele Vertiefungen fand er dort. Geeignete Verstecke.
Plötzlich sah er Wellen auf dem Wasser. Was war das? Dittmer erschrak. Er zog sein Handy aus der Tasche. Kein Empfang.
Aus den Wellen wurde plötzlich ein Rauschen, bis sich das Wasser zu einem schwarzen Turm erhob. Dittmer war fassungslos. Mit offenem Mund starrte er auf das unwirkliche Szenario. Vor ihm stand ein Mann in Taucherausrüstung. In schwarz glänzendem Neopren, mit Unterwasserbrille und Atemschutz sah er aus wie ein Außerirdischer.
Der vermeintlich Außerirdische zog seine Atemmaske ab und grinste hämisch. Dittmer erkannte in ihm Hans Korte. Was hatte das zu bedeuten?
"Du wirst hier nicht mehr rauskommen", hörte er den Mann in bedrohlichem Tonfall sagen. "Die verschwundenen Kanalarbeiter gibt es gar nicht. Aber anders bin ich nicht an dich und deinen Kollegen herangekommen."
Erst jetzt dämmerte es Dittmer, zu wem dieses Gesicht gehörte: Hans Korte war ein viel gesuchter Serienmörder.
Dittmer und Helmer hatten bereits eine Begegnung mit ihm gehabt. Er war ihnen bei einer Verkehrskontrolle wegen zu schnellen Fahrens aufgefallen. Hans Korte hatte sich unter einem anderen Namen ausgewiesen. Leider hatten ihn weder Dittmer noch Helmer zu dem Zeitpunkt in der Dunkelheit im Wagen erkannt.
"Ihr hättet mich in dieser Nacht einfach in Ruhe lassen sollen, egal, wie schnell ich gefahren bin." Ein schwarz glänzender Arm griff blitzschnell nach Dittmer. Dieser versuchte den Arm des Wassermannes abzuwehren, da riss ihm Hans Korte die Taschenlampe aus der Hand und schlug ihm damit auf den Kopf. Dittmers Kräfte schwanden.
Plötzlich spürte er, wie er in die stinkende, schmutzige Gülle hinabgezogen wurde. Seine Versuche, sich gegen die starken Arme des Wassermannes zu wehren, scheiterten daran, dass er keine Luft mehr bekam. Es dauerte nicht lange, schon legte sich friedliche Stille über ihn.

Kommissar Helmer steht vor einer wichtigen Entscheidung

Kommissar Helmer stand am Eingang zum Kanal und wartete. Die Zeit verging, aber nichts passierte. Hans Korte rief nicht an. Dittmer kehrte nicht zurück. Was hatte das zu bedeuten?
Er setzte sich eine Frist von einer Stunde.
Doch auch in dieser Zeit geschah absolut nichts. Also rief er Hans Korte, den Kanalarbeiter am anderen Ende des Kanals an. Auch der hatte nichts zu berichten.
Wieder studierte Helmer die Karte. Hier gab es nur diese eine Unterführung. Er saß am einen Ende, Hans Korte am anderen.
Was sollte er jetzt tun? Wirklich Verstärkung rufen?
Nein! Damit würde er sich und Dittmer nur lächerlich machen. Vermutlich war Dittmer auf die beiden anderen Kanalarbeiter gestoßen, die sich dort unten einen Spaß erlaubten und darauf warteten, dass ihnen jemand folgte.
Das konnten sie haben.
"Ich steige hinab und hole meinen Chef da raus", sagte er ins Handy.
"Okay! Ich warte auf Sie", antwortete Hans Korte.
Vorsichtig kletterte Helmer auf die eiserne Leiter und stieg Sprosse für Sprosse in die Tiefe.

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