Der 21. Dezember 2012 bedeutet nach dem Langzeitkalender der Maya das Ende der menschlichen Zivilisation. Aber das ist ja nur ein alter Mythos, oder? Sven fährt mit seinen Freunden Britta und Marc aufs Land, um diesen besonderen Tag zu feiern. Plötzlich sieht es so aus, als ginge die Welt tatsächlich unter...
Die Aufregung wuchs mit jedem Kilometer, den sich Britta, Marc und Sven ihrem
Ziel näherten. Es war der Tag der Apokalypse. Die ganze Welt sprach von
nichts anderem. Der Schneesturm, der über das Land hinwegfegte und an dem
Geländewagen rüttelte, schien ihnen wie eine Bestätigung dafür,
dass das Ende der Welt tatsächlich nahte.
"Wie weit ist es noch?", fragte Britta aus dem Fond des Wagens.
"Nicht mehr weit", beteuerte Sven vom Steuer aus.
"Hoffentlich findest du das Haus noch", spottete Marc und legte
besitzergreifend seinen Arm um Brittas Schultern.
"Mach dir mal keine Sorgen!" Sven unterdrückte seinen Zorn.
Alle sahen gleichzeitig, wie sich nach und nach aus dem dicht fallenden Schnee
die Konturen eines alten Hauses herausschälten. In der Einsamkeit und in
der weißen Schneewüste wirkte die dunkle Steinmauer, die ihnen entgegen
schimmerte, gespenstig. Das Gebäude war hoch und mit einem spitzen Giebeldach
gedeckt. Die Fenster sahen bedrohlich aus - wie schwarze, klaffende Löcher.
Alte Bäume mit kahlen Ästen säumten das Gemäuer zu beiden
Seiten. Träge wiegten sie sich im Wind. Langsam ließ Sven seinen
Wagen darauf zurollen und stellte ihn direkt vor der Haustür ab. Hastig
nahmen sie ihr Gepäck, öffneten die alte hölzerne Tür und
eilten hinein. Sie landeten in einem schmalen dunklen Flur. Links lag die Küche.
Sven war dorthin vorausgegangen. Die Möbel waren alt, aber gut erhalten,
die Fenster viel zu klein, weshalb sie nur wenig Licht hereinließen. Auch
waren sie nicht genügend abgedichtet. Wind pfiff hindurch und ließ
eine unheimliche Stimmung entstehen, außerdem war es sehr kalt.
"Das ist ja gruselig", stöhnte Britta.
"Genau das, was wir für einen Weltuntergang brauchen", hänselte
Marc, umarmte die junge Frau und küsste sie. Doch Britta schob ihn weg
und murmelte: "Nicht hier vor Sven!"
Sie ließen sich vom Gastgeber die Zimmer im ersten Stock zeigen. Alles,
was sie durch die kleinen Fenster sehen konnten, waren unendlich weite verschneite
Felder. Kein Haus, keine Straße, keine Menschenseele, nichts.
Sie legten ihr Gepäck ab und eilten wieder hinunter in die Küche.
Ein alter Gasofen mit vier Platten wartete dort auf seinen Einsatz. Während
Britta alle mitgebrachten Lebensmittel auf dem Küchentisch ausbreitete
und mit der Zubereitung begann, schaltete Sven das Gas ein und erhitzte die
Herdplatten. Es dauerte nicht lange, schon hatten sie ein Essen zusammengezaubert,
das verlockend duftete. Während der Wind durch sämtliche Ritze pfiff,
setzten sie sich an den kleinen Tisch in der Mitte. Sven kredenzte Rotwein dazu.
Dann verstummten alle Gespräche. Nur noch durch die Geräusche von
klappernden Fensterläden, das Pfeifen des Windes, gelegentliches Klopfen
der kahlen Äste gegen die Fensterscheiben und das Klirren des Geschirrs
waren zu hören. Nach und nach wurde es dunkler, der Tag neigte sich früh
dem Ende.
"Wusstet ihr, dass nach den Berechnungen der Maya unser Zeitalter im
Jahr 3114 vor Christus begonnen hat und genau heute auf den Tag enden wird?",
fragte Sven in die Stille.
Allgemeines Kopfschütteln war die Antwort.
"Nach der Apokalypse wird eine völlig neue Zivilisation entstehen."
"Blödsinn!", murmelte Marc mit vollem Mund. "Das haben
schon viele prophezeit und nie ist es eingetroffen."
"Bisher ist alles eingetroffen, was die Maya vorausgesagt haben",
hielt Sven dagegen. "Die Maya waren bekannt für ihre exakten Methoden
der Berechnung von Sonnenwenden und Planetenlaufbahnen. Sie waren mit ihrer
Intelligenz ihrer Zeit weit voraus."
Britta schüttelte sich und meinte: "Sven! Du machst mir Angst! Ich
dachte, wir lassen es ein bisschen gruseln, wenn es dunkel wird."
"Das machen wir halt jetzt schon", spottete Marc und stupste Britta
mit dem kleinen Finger auf die Nase.
"Heute ist Wintersonnwende, das bedeutet, dass es schon bald dunkel sein
wird", kommentierte Sven. "Dann sehen wir ja, was passiert."
Marc schnaubte. "Das ist alles nur Geschwätz."
"Von wegen Geschwätz", fuhr ihm Sven über den Mund. "Von
den Mayas existiert eine Inschrift aus dem 7. Jahrhundert, die 2012 das Herabsteigen
des Gottes "Bolon Yokte" vorhersagt. Das ist der Gott der Totenwelt.
Zufällig ereignet sich zum gleichen Zeitpunkt eine äußerst seltene
Sternenkonstellation, wie es sie noch nie gegeben hat."
"Hör auf damit", rief Britta. "Ich schlage vor, wir räumen
das Geschirr weg. Das bringt uns auf andere Gedanken."
Die beiden Männer folgten ihrem Rat. Gemeinsam spülten sie das Geschirr.
Plötzlich wurde es von einer Sekunde auf die andere stockfinster.
"Es ist so weit", rief Britta erschrocken.
"Jetzt müssen wir gut aufpassen", flüsterte Sven. "Der
Gott der Totenwelt kommt, um uns in das Totenreich zu führen."
"Das ist doch alles Blödsinn", schimpfte Marc. "Der Strom
ist ausgefallen! Sonst nichts! Ich gehe nachsehen, wo der Schalter ist."
Ein Poltern, ein Stöhnen und ein Krachen ertönten.
"Wo seid ihr?", kreischte Britta. "Ich habe Angst."
"Ich bin hier", beruhigte Sven sie und nahm sie in den Arm. Doch
wo blieb Marc.
"Marc? Wo bist du?"
Keine Antwort.
Nun riefen beide seinen Namen. Aber er reagierte nicht.
"Der macht sich nur einen Spaß", grummelte Sven.
"Er sucht bestimmt immer noch den Stromkasten", meinte Britta. "Vielleicht
haben wir wirklich nur Stromausfall."
"Dann müsste er längst wieder zurück sein", stellte
Sven fest. "Ich gehe nach ihm suchen. Zum Glück habe ich eine Taschenlampe
dabei."
Er folgte dem kleinen Lichtkegel, den die Taschenlampe warf, ging mit zögernden
Schritten durch den Flur, bis er an die geöffnete Kellertür stieß.
Dort lag Marc.
Britta war ihm gefolgt. Sie stieß einen Schrei aus, denn Marc war tot.
Eine Blutlache bildete sich unter seinem Körper.
"Stand das auch im Maya-Kalender?", fragte sie mit weinerlicher
Stimme.
"Nein!", stellte Sven schreckensweiten Augen fest. "Wir sollten
zusehen, dass wir hier verschwinden. Wer weiß, wer sich heimlich in dieses
Haus geschlichen hat, in der langen Zeit, als es leer stand."
"Willst du nicht zuerst die Polizei rufen?"
"Wir haben hier ein Funkloch", entgegnete Sven. "Das einzige,
was wir tun können, ist zur Polizeiwache zu fahren."
"Das machen wir. Wir können ihn nicht einfach so liegen lassen."
Im Nu hatten die beiden ihre Sachen gepackt, stiegen in den Geländewagen
und fuhren durch den nächtlichen Schneesturm zur Polizeiwache
Der Fall konnte nie aufgeklärt werden. Viele Spuren hatten die Polizei
im Haus gefunden. Doch sie konnten nicht alle zugeordnet werden.
Nachdem Sven und Britta beschlossen hatten zu heiraten, verkauften sie als Erstes
das alte Haus. Von dem Geld gönnten sie sich ein paar schöne Flitterwochen.
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