Kurzkrimis

Häsin gesucht

Lilo liebt es, ihr Zuhause in Ordnung zu halten. Dafür nimmt sie jede Strapaze in Kauf: Sie putzt, wischt und scheuert tagein, tagaus. Doch täglich wiederholt sich das Drama: Ihr Mann Rudi kommt nach Hause, würdigt ihre Arbeit kein bisschen und macht alles schmutzig. Wie wird Lilo mit dieser Katastrophe fertig?

Häsin gesucht

Das schöne Heim

Das Chinesische Horoskop sagt, dass man Häsinnen auf keinen Fall unterschätzen darf. Anstelle des sanften Kuschelwesens stecken echte Kämpferinnen in ihnen, die ihr Revier zu verteidigen wissen. Und nicht nur das, Häsinnen sagt man auch einen Sinn für Ordnung nach. Sie tun alles, um sich eine heile Welt zu schaffen.
Und genau das findet Lilo vor, wenn sie sich umsieht. Alles blitzt sauber. Alles liegt ordentlich an seinem Platz. Der Boden frisch gewischt, die Regale abgestaubt... Halt, hier ist noch ein Stäubchen, das schnell weggewischt werden muss. Bald kommt Rudi nach Hause, dann soll alles schön sein.
Sie fegt noch einmal über den Boden, bevor sie das Essen anrichtet. Denn Rudi ist nach getaner Arbeit immer sehr hungrig.
Schon ist es soweit.

Der Heimkehrer

Rudi kommt nach Hause.
Er würdigt ihre Arbeit keines Blickes. Im Gegenteil, Dreck schleppt er in die saubere Stube.
Lilo spürt, wie sie ihre Krallen ausfährt. Dafür hat sie sich diese Arbeit gemacht! Um ihrem Rudi ein schönes Heim zu schaffen.
"Kannst du nicht aufpassen?", schimpft sie. "Schau mal, wie es hier aussieht!"
"Ich habe Besseres zu tun, als die Stube sauber zu halten", schimpft Rudi. "Schließlich muss ich mich darum kümmern, dass wir genug zu essen haben. Da darf ich doch erwarten, dass ich freundlicher empfangen werde."
Lilos Krallen fahren weiter aus. Sie schaut Rudi an und erkennt in seinem Gesicht eine Hochnäsigkeit, die sie erst recht auf die Palme bringt.
"Ach! Und das, was ich mache, ist nichts?", entgegnet sie.
Rudi hört nicht auf sie. Er hat Hunger und will nur noch etwas essen.
Lilo kennt Rudis Verhalten inzwischen. Es ist täglich dasselbe. Ihre Arbeit wird einfach übersehen.
Das kann so nicht weitergehen, sonst geht sie zugrunde. Rudi schadet ihrem Selbstbewusstsein, das bei ihr ohnehin nicht besonders stark ausgeprägt ist. Sie schaut ihm zu, wie er ohne hinzusehen alles in sich hineinfrisst. Das ist der einzige Vorteil an ihm, erkennt sie. Er isst kritiklos alles, was sie ihm vorsetzt.
Das bringt sie auf eine gute Idee.

Lilo fasst einen Plan

Sie schaut in den Garten hinaus. Am Wegesrand steht genau das, was ihr gerade in den Sinn kommt: Bilsenkraut.
Die Samen des Bilsenkrauts sind leicht mit Mohnsamen zu verwechseln. Und Mohn schmeckt ihrem Rudi immer besonders gut.
Und die Wirkung dieses Krauts ist nicht so grausam wie bei anderen Giften. Man wird müde und schläft sanft ein.
Lilos Plan ist gefasst.
Es geht ganz schnell, schon kehrt sie mit den Samenkörnern dieses Krauts zurück.
Sie streut die Körner über den restlichen Salat und schaut Rudi an.
"Ich habe Mohn gesammelt", erklärt sie zuckersüß. "Den isst du doch so gern."
Rudis Grummeln verwandelt sich in ein wohliges Schmatzen, das er mit einem kräftigen Furz betont.
Zufrieden lehnt sich Lilo zurück und sieht ihm zu, wie er den Salat mit den schwarzen Samenkörnern des Bilsenkrauts verschlingt.
Es dauert nicht lange, da wird Rudi müde. Er legt sich so schmutzig, wie er ist, in die gepflegte, saubere Ecke.
Lilo erschauert bei dem Anblick, wie sich Sand, Erde und Dreck gleichmäßig verteilen.
Aber es ist das letzte Mal. Sie wird diesem Schmutzfink nicht mehr hinterherputzen müssen.
Es dauert nicht lange, dann ist Rudi eingeschlafen. Und Lilo weiß, dass er nicht mehr aufwachen wird.
Aber was soll sie jetzt mit ihm machen? Hier lassen kann sie ihn nicht. Dann fängt er an zu stinken. Also nimmt sie alle Kraft zusammen und zerrt den Kadaver vor den Eingang.
Erst jetzt erkennt Lilo, was sie getan hat. Sie kann nicht mehr in diesem Heim bleiben. Wenn jemand ihren toten Rudi hier findet, wird sie doch sofort verdächtigt.
Hastig räumt sie alles noch einmal ordentlich auf, packt sich nur die nötigsten Sachen ein und verlässt die gute Stube.
Sie verabschiedet sich von dem schönen Altbau, in dem sie gern gewohnt hat, wirft einen wehmütigen Blick zurück und macht sich auf und davon.

Der Jäger schultert sein Gewehr

Die Sonne lacht am strahlend blauen Himmel.
Tatenfroh schultert der Jäger sein Gewehr und verlässt das Haus. Alles grünt und blüht um ihn herum. Es gibt nichts, was seine gute Laune trüben könnte, denkt er sich.
Doch was sieht er da?
Da liegt etwas im Gebüsch, was nicht dorthin gehört. Haben Jugendliche wieder einmal ihren Abfall entleert?
Wütend stapft er darauf zu.
Doch was er dort findet, ist kein Abfall. Vor ihm liegt sein bester Rammler, der stärkste Vererber unter den Hasen, die sich hier im angrenzenden Wald wunderbar vermehren.
Er kann sich denken, was passiert ist.
Rudi Rammler war mit der Wahl seiner Weibchen noch nie sehr vorsichtig. Sicherlich ist er dieses Mal an die Falsche geraten.
Traurig hebt er den Kadaver auf und trägt ihn ins Haus.
Soll sein Ende nicht umsonst gewesen sein, überlegt der Jäger und bereitet sich einen leckeren Hasenbraten zu.
Während des Essens beschließt er, sich auf die Suche nach der Häsin zu machen, die dafür verantwortlich ist. Die würde auch in seinem Kochtopf landen.
Nur, warum wird er plötzlich so müde...?

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