Mona, Susi und Nina sind einem schrecklichen Verbrechen zum Opfer gefallen und seitdem auf dem Zentralfriedhof beerdigt. Schon bald kommt ein viertes Opfer hinzu, Anna. Alle vier wurden von demselben Mann getötet. Nun haben sie noch eine Rechnung auf der Erde offen. Zum Glück haben sie einen Plan.
Stille und Finsternis legten sich über den Zentralfriedhof. Die letzten
Gäste der großen Beerdigung hatten das Grab endlich verlassen. Zurück
blieben der Wind, der über die Grabsteine und Holzkreuze pfiff und das
gelegentlich Fiepen der Ratten, die aus ihren Löchern gekrochen kamen.
Ein Uhu stieß sein lang gezogenes sonores "buuuhooo" aus.
Das war das Zeichen dafür, dass seine Jagd begann.
Zeit aufzustehen!
Die Erde über Monas Grab bewegte sich leicht. Dann türmte sie sich
zu einem kleinen Berg auf und ein strahlender Lichtschein schwebte darüber.
Monas Geist schüttelte sich, um sich von der schmutzigen Erde zu befreien.
Einige Meter weiter bebte der Sand auf Susis Grab. Nur wenige Sekunden später
tauchte auch dort ein heller Lichtschein auf und schüttelte sich. Susis
Geist.
Wieder ein paar Meter weiter lag Ninas Grab. Auch ihr Geist ließ nicht
mehr lange auf sich warten.
Zu dritt starrten Mona, Susi und Nina auf das Grab der Neuen. Anna hieß
sie. Das stand auf dem Holzkreuz. Aber das wussten die drei Geister auch so.
Anna war eine von ihnen. Das würden sie ihr klarmachen, sobald sie aus
ihrem frischen Grab geschlüpft war.
Schon war es soweit. Annas Geist schüttelte sich und schüttelte sich,
bis sie Mona, Nina und Susi erblickte.
"Hilfe! Wo bin ich?", rief sie mit zarter, zerbrechlicher Stimme.
"Du bist jetzt tot und ein Geist."
"Warum das denn? Ich hatte gehofft, Erlösung zu finden und in den
Himmel zu kommen." jammerte Anna.
"Das haben wir alle. Aber wir haben hier auf der Erde noch eine Rechnung
offen. Vorher werden unsere Seelen keine Erlösung finden", antwortete
Mona mit ruhiger Stimme.
"Ein Rechnung offen?"
"Ja! Oder hast du deinen Peiniger schon vergessen?"
Anna schluchzte. Niemals könnte sie so etwas vergessen.
"Uns ist das Gleiche passiert", erklärte Susi. "Mit demselben
Peiniger. Mit Hubert."
Anna staunte.
"Ich bin jetzt seit zwei Jahren hier", begann Mona zu erzählen.
"Mich hat er 12 Stunden festgehalten und gequält."
"Und ich bin jetzt seit einem Jahr hier. Mich hat er 24 Stunden festgehalten
und seine üblen Spielchen mit mir getrieben, bis er mich endlich getötet
hat", berichtete Susi.
"Und ich bin seit einem halben Jahr hier", schloss sich Nina den
Berichten an. "Mich hat er zwei Tage festgehalten."
Nun war es an Anna, etwas zu sagen. Mit weinerlicher Stimme brachte sie hervor:
"Mich hat er fünf Tage festgehalten."
"Merkst du etwas?", fragte Mona, die älteste unter den Geistern.
"Er verlängert seine Quälphasen. Dafür verkürzt er
die Pausen dazwischen. Der Kerl wird immer gefährlicher. Wir müssen
ihn stoppen."
"Wir?", fragte Anna erstaunt.
"Natürlich wir. Was glaubst du, warum wir hier auf der Erde herumspuken?"
Anna wusste es nicht.
"Wir müssen uns von unserem Peiniger befreien. Und die anderen Mädchen
vor ihm schützen. Erst dann bekommen unsere Seelen Frieden und können
in den Himmel aufsteigen."
"Das ist ja schrecklich. Ich will so schnell wie möglich von dieser
Erde weg", bekannte Anna zutiefst schockiert.
"Das sehe ich auch so. Diese Spukerei ist kein Vergnügen."
"Ja! Du musst es wissen, wenn du schon so lange als Geist hier bist",
erkannte Anna.
Mona nickte und meinte: "Im Winter ist es am schlimmsten. Da sind die
Nächte so lang. Sie kommen mir vor, als wollten sie niemals enden. Dafür
sind die Sommernächte die reinste Erholung. Im Sommer haben wir Arbeitszeitverkürzung."
"Aber was können Geister gegen einen bösen Menschen wie Hubert
nur tun?" Anna klang verzweifelt.
"Jetzt sind wir zu viert und haben eine gute Chance", erklärte
Mona. "Zuerst einmal müssen wir sehen, wo er sich herumtreibt. Die
Gefahr ist groß, dass er sich schon sehr bald auf sein nächstes Opfer
stürzt."
"Und wo wollen wir ihn finden?"
"Dort, wo er uns auch gefunden hat", antwortete Mona. "Oder
glaubt ihr, er verlässt so ein ertragreiches Jagdrevier?"
Huuuuusch, schon flogen die vier hellen Lichter durch die Lüfte und landeten
in Sekundenschnelle über dem Stadtteil, wo die größten Diskotheken
waren.
Es dauerte nicht lange, schon sahen sie ihn. Er hatte - wie sie mit Schrecken
feststellten - schon wieder ein Opfer im Visier.
"Das ist meine Schwester", schrie Anna entsetzt.
"Umso entschlossener müssen wir vorgehen", bestimmte Susi.
"Aber wie?"
Mona schaute sich um. Schon hatte sie eine Idee.
Hubert ging über den Bürgersteig, über dem viele Balkone schwebten.
Auf einer der Brüstungen stand ein schwerer Blumentopf. Zu viert strengten
sie sich an, um einen starken Windhauch zu erzielen. Es gelang ihnen. Der Blumentopf
fiel von der Brüstung und landete haargenau auf Huberts Kopf.
Er brach tot zusammen.
Ein Kichern ging durch die Luft. Die vier Geister feierten ihren größten
Triumpf.
Nach wenigen Tagen war Huberts Schuld an dem Tod der vier Mädchen nachgewiesen
worden. Die Polizei konnte eine Akte schließen, ohne selbst etwas dafür
getan zu haben.
Dann wurde Hubert beerdigt.
Wie Mona, Nina, Susi und Anna auch nicht anders erwartet hatten, stieg der
Geist von Hubert schon in der ersten Nacht aus seinem Grab. Aber die Geister
der vier Mädchen waren darauf vorbereitet. Kaum hatte Hubert den Sand von
sich geschüttelt, schnappten sie ihn und ketteten ihn, ehe er überhaupt
reagieren konnte, vor dem Eingang der Gruft eines prominenten Rockstars fest.
"Was soll das?", rief Hubert und zerrte verzweifelt an den schweren
Ketten.
"Hier wirst du dein Dasein als Geist fristen. Tag und Nacht", schwor
ihm Mona. "Die zugige Luft wird dich pausenlos quälen, denn an dieser
Stelle zieht es Tag und Nacht. Ich weiß das so genau, weil ich hier schon
so lange als Geist spuke. Deshalb habe ich mir diese Stelle für dich ausgesucht."
"Bitte bindet mich los", wimmerte Hubert.
Die vier Geister der Mädchen lachten böse.
"Und wenn am Tag die vielen Fans des Rockstars die Gruft aufsuchen -
und das werden sie, ich hatte ebenfalls genug Zeit, alles zu beobachten",
fügte Susi gehässig an, "werden alle durch dich hindurchgehen.
Das wird qualvoll! Dann bekommst du endlich eine Vorstellung davon, was du uns
angetan hast."
Huberts Heulen zog gespenstig über den Friedhof.
Und die Seelen der vier Mädchen fanden ihren Frieden. Lachend und jubelnd
stiegen sie empor und verließen für immer den traurigen Zentralfriedhof.
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