Kurzkrimis

Mord "gefällt mir"

Als das Foto einer Toten bei Fakebuch auftaucht, wird Kriminalkommissar Dietmar stutzig. Er kann es kaum glauben, dass er den Tatort kennt. Aus Neugier begibt er sich an den Ort, wo er die Leiche vermutet und stößt tatsächlich auf eine ermordete Frau.

Mord gefällt mir

Vor- und Nachteile von Fakebuch

Zurzeit bestand Dietmars Arbeit nur aus Bürokram. Keine neuen Mordfälle galt es aufzuklären. Oder Vermisstenmeldungen nachzugehen. Oder Entführungsfälle zu übernehmen. Nichts. Langeweile machte sich im Büro der Landeskriminalpolizei breit. Viele der Kollegen überbückten diese Zeit, in dem sie sich in das soziale Netzwerk Fakebuch einloggten und dort einige Scherze trieben. Dietmar kannte sie schon alle und konnte nicht mehr darüber lachen. Auch hatte er keine Lust, seinen Kollegen zum Opfer zu fallen. Deshalb hütete er sich, von seinem gefakten Profil bei Fakebuch zu berichten. Nicht einmal seinem Partner und Freund Markus Hellweg erzählte er davon, denn der trieb es von allen am Schlimmsten. Nur so konnte er sich in aller Ruhe bei Fakebuch umsehen. Insgeheim hoffte er, dort vielleicht die Frau fürs Leben zu finden. Denn wann hatte er noch Gelegenheit, sich unter die Leute zu mischen? Nach Feierabend konnte Dietmar es kaum noch erwarten, sich einzuloggen. Die ersten Postings, die er bei Fakebuch zu sehen bekam, gaben nicht viel her. Fotos von Sonnenaufgängen und niedlichen Katzen interessierten ihn nicht.
Er scrollte eine Weile rauf und runter, bis ihn Hunger überkam. Schnell schob er sich ein Fertiggericht in die Mikrowelle und aß es anschließend am PC.
Plötzlich stach im ein Foto ins Auge, das eindeutig auffiel. Es sah wie ein Tatortfoto aus. Schnell vergrößerte er das Bild und spürte, wie ihm das Essen im Hals stecken blieb. Das war ein Tatortfoto! Darunter sah er, dass es dafür bereits über tausend Likes gab. Wie gebannt starrte er darauf. Es war eine tote Frau in Joggingkleidung. Ihre Kehle war aufgeschlitzt. Der Anblick war erschütternd. Wie war es möglich, dass so ein schockierendes Foto den Massen gefiel?
Kopfschüttelnd scrollte er weiter. Doch wie es bei Fakebuch so üblich ist, wurde das Foto unter den Nutzern, die zu seinem Bekanntenkreis zählten und es geliket hatten, erneut gepostet. Wieder und wieder bekam es Dietmar zu sehen. Bei jedem Mal fühlte er sich mulmiger. Das Profil, das dieses Foto gepostet hatte, war englisch. Also konnte dieses Fotos überall aufgenommen worden sein. Immerhin ist Fakebuch ein weltweites Netz. Und doch spürte er jedes Mal, dass ihm etwas an diesem Foto bekannt vorkam. Akribisch suchte er es nach Hinweisen ab, ob es womöglich ein Relikt aus der Datenbank der Polizei sein könnte. Aber er konnte sich nicht an einen solchen Mord erinnern. Die tote Frau kannte er nicht. Auch kein Delikt mit diesen Merkmalen. Wieder scrollte er weiter - wieder stieß er auf das Foto.
Nun sah er etwas, was ihm doch tatsächlich bekannt vorkam. Die Hütte, in der diese tote Frau lag, sah aus wie die Hütte am Rand des Stadtwalds, in der die Kollegen schon mehrere Male den Abschluss eines Betriebsausflugs gefeiert hatten. Konnte das Zufall sein?
Bei seiner nächsten Begegnung glaubte er, noch weitere Merkmale zu erkennen, die eindeutig auf diese Hütte hinwiesen. Bevor Dietmar die Kollegen anrief und sich lächerlich machte, wollte er sich erst vergewissern, ob dort wirklich eine Tote lag. Außerdem wollte er auf keinen Fall, dass sein falscher Fakebuch-Name herauskam. Also zog er einen Trainingsanzug und Laufschuhe an, fuhr mit dem Wagen bis zum Waldrand in der Nähe dieser Hütte, damit er nicht außer Puste dort ankam, und lief los.

Von der Virtualität zur Realität

Tatsächlich! Dort lag eine Tote. Genau wie auf diesem Foto!
Rasch zog er das Handy aus seiner Tasche und rief die Kollegen an.
Sofort wurde eine Soko gebildet, der auch er zugeteilt wurde. Die Ermittlungen begannen noch in der gleichen Nacht. Zuerst begannen die Kollegen, den Nutzer zu ermitteln, der das verräterische Foto gepostet hatte. Niemand hatte Dietmars Entdeckung hinterfragt, weil die Nutzung von Fakebuch für alle selbstverständlich war. Dass es so einfach werden würde, sein falsches Profil zu verschweigen, hätte er nicht gedacht.
Die Spur des Fakebuch-Nutzers führte sie in ein Internet-Cafe der Stadt. Dort gab es keine Überwachungskameras. Auch der Besitzer dieses Cafes konnte sich nicht erinnern, wer alles dort gewesen war. Blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Cafe zu observieren.
Der Dienststellenleiter Peter Böse gab der Soko den Namen "Mord gefällt mir", als er sah, wie viel Beifall das Foto in diesem sozialen Netzwerk gefunden hatte.
Während die Ermittlungen schleppend vorangingen, bekam Dietmar nur noch selten Gelegenheit, sich unauffällig bei Fakebuch umzusehen. Also loggte er sich heimlich wieder ein, als alle Kollegen im Außendienst waren. Und wieder traf er auf ein schockierendes Foto. Er konnte es kaum glauben, rieb sich die Augen und schaute nochmal hin. Es war immer noch da. Rasch konzentrierte er sich auf die Details. Es war vom Vortag und die Anzahl der Likes war inzwischen astronomisch.
Dieses Mal schaute er sich alles genauer an, denn er spürte schon wieder , dass ihm etwas daran bekannt vorkam. Es war der Platz, auf dem die Tote lag: der Ehrenfriedhof am Stadtrand. Dietmar erinnerte sich daran, dass er dort mal mit den Kollegen Halloween gefeiert hatte.
Ohne zu zögern, eilte er zu seinem Dienstwagen und fuhr dorthin. Tatsächlich! Genau wie auf dem Foto. Er erschauerte. Was passierte hier? Er konnte nicht umhin, die Kollegen zu informieren.
Schon schlug die Stimmung in der Soko um. Die Kollegen hegten einen Verdacht gegen ihn, weil er es war, der jedes Mal auf die toten Frauen stieß. Zu Dietmars Leidwesen konnte auch dieses Mal der Fakebuch-Nutzer nur als Besucher eines Internetcafes ermittelt werden, ein anderes am anderen Ende der Stadt. Es wäre wohl an der Zeit, den Kollegen zu sagen, wie es wirklich war. Aber Dietmar schwieg.

Urlaub auf eigene Kosten

Schon am nächsten Morgen wurde er von Soko-Leiter Peter Böse beurlaubt. Markus Hellweg übernahm Dietmars Arbeit.
Frustriert fuhr Dietmar nach Hause und schaltete seinen PC an. Seine erste Handlung war, sich bei Fakebuch einzuloggen. Er scrollte sich durch, bis er an einem Foto mit einem merkwürdigen Untertitel hängenblieb: "Hier werdet ihr bald das nächste Opfer zu sehen bekommen. Freut euch schon darauf!"
Er erkannte dieses Gemäuer sofort. Es war die alte Kapelle im "Wilden Tal". Sie war irgendwann in Vergessenheit geraten und dadurch dem Verfall ausgesetzt. Die Fenster waren schon lange eingeschlagen, die Tür hing morsch in den Angeln. Außerdem stand sie abseits der Zivilisation. Nur Jogger liefen gelegentlich noch daran vorbei, weil von dem Weg nur noch ein schmaler Trampelpfad übrig war.
Er spürte, dass er handeln musste. An den Kommentaren der anderen Fakebuch-Nutzer erkannte er deutlich, dass alle heiß darauf waren, wieder eine blutüberströmte Leiche zu sehen.
Sofort brach er auf. Dieses Mal nicht in Laufkleidung, sondern mit einem Mantel, in dem er seine private Waffe versteckte. Seine Dienstwaffe hatte er abgeben müssen.
Als er sich der Kapelle näherte, sah alles friedlich aus. Um sich unbemerkt zu nähern, bog er in einen Weg ein, der hinter dichten Büschen entlangführte und kurz davor endete. Er schaute durch eine der eingeschlagenen Fensterscheiben ins Innere der Kapelle. Schon spürte er einen leichten Druck im Rücken. Dazu hörte er ein verdächtiges Klicken, was das Entsichern einer Waffe bedeutete. Wie erstarrt blieb er stehen.

Die Stunde der Wahrheit

Als dann die Worte "Hände hoch" an seine Ohren drangen, konnte er es nicht glauben. Er kannte diese Stimme. Die Anweisung des anderen nicht beachtend, drehte er sich einfach um und schaute seinem Kollegen und Freund Markus Hellweg ins Gesicht.
"Ich hatte also recht", plärrte Markus. "Du loggst dich unter einem falschen Namen bei Fakebuch ein."
Dieter wollte Markus' Waffe wegnehmen. Doch dieser wich aus und sagte: "Lass es lieber. Zufällig weiß ich nämlich, dass du gerade keine Waffe hast."
"Dann hast du leider vergessen, dass ich noch eine Privatwaffe besitze", entgegnete Dietmar und zog sie aus der Manteltasche. Sich gegenseitig bedrohend, standen sie sich gegenüber.
Aus der Ferne hörten sie Schritte, die immer näher kamen. Es war eine Joggerin.
"Sollte sie heute zum Opfer werden?", fragte Dietmar.
Markus nickte.
"Warum?"
"Weil es geil ist, so ein Superstar bei Fakebuch zu sein."
Dietmar stöhnte.
"Und außerdem war bei uns gerade nichts los. Da dachte ich mir, ich schlage gleich zwei Fliegen mit einer Klappe."
Die Joggerin näherte sich den Männern. Ihre Schritte wurden zuerst immer zögerlicher und dann plötzlich immer schneller, als sie begriff, was sie sah.
Dietmar rief ihr hinterher: "Rufen Sie die Polizei! Aber schnell!"

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