Es ist Silvesternacht - kurz vor zwölf! Die Nachbarn feiern ausgelassen. Der Nachbar Horst Welker wurde nicht eingeladen. Als Zaungast steht er daneben und darf nur zuschauen. Doch was er sieht, ist kein Feuerwerk - nein, es ist viel besser.
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Der Knall war ohrenbetäubend. Die Wucht der Detonation warf ihn um wie
eine Puppe. Die Nässe des Bodens drang in Sekundenschnelle durch seine
Kleider und sein Rücken fühlte sich eiskalt an. Aber das störte
ihn nicht. Viel schöner war das Wissen, dass sein Plan funktioniert hatte.
Drei Häuser weiter hatte eine Silvesterparty im ganz großen Stil
stattgefunden und die Nachbarn hatten es nicht für nötig befunden,
ihn einzuladen. Das ganze Jahr pflegte er ihren Garten. Oft stießen sie
mit Champagner mit ihm an. Aber mit ihnen feiern durfte er nicht. Das ließ
sich Horst nicht gefallen. Er hasste es, Zaungast zu sein - auch wenn
ihm dadurch gerade ein besonderes Vergnügen beschert worden war.
Die Vorfreude auf das Feuerwerk dieser Angeber, das Knallen der Champagnerkorken,
das aufgeblasene Getue - er hatte jedes Wort verstehen können. Er
war bereits vergessen, und das, obwohl er ihnen noch am gleichen Nachmittag
alles für das Feuerwerk hergerichtet hatte.
Jetzt trugen sie ihre Nasen nicht mehr hoch. Jetzt lagen ihre Körperteile
in alle Winde zerstreut im Garten des Gastgebers.
Sämtliche Feuerwerke in der näheren Umgebung waren eingestellt worden.
Horst konnte Stimmen auf der Straße hören. Vermutlich waren alle
Bewohner dieser Wohnanlage auf die Straße gelaufen. So ein Ereignis lockte
jeden vor die Tür. Rasch eilte er in sein Haus, zog sich um und trat ebenfalls
hinaus. Sich nicht zu zeigen, könnte falsch aufgefasst werden. Also mischte
er sich unter die aufgeregte Menge.
Sirenen ertönten. Innerhalb von Sekunden wimmelte es nur so von Polizisten,
Sanitätern, Notärzten und Feuerwehrleuten.
Die Nachbarn wurden gebeten, sich in ihre Häuser zurückzuziehen und
dort zu warten. Ein großer Mann in schniekem Anzug mit teurem Mantel stellte
sich als Kriminalhauptkommissar Ossenbrink vor, der ihnen noch Fragen stellen
wollte. Horst ahnte, dass der feine Pinkel seine Silvesterparty ebenfalls abrupt
unterbrechen musste, und grinste schadenfroh.
Kriminalhauptkommissar Ossenbrink traf äußerst schlecht gelaunt
am Tatort ein. Genau um Mitternacht an Silvester hatte es eine Explosion mit
fünf Toten gegeben. So etwas war während seiner gesamten Laufbahn
noch nicht passiert. Das klang wie ein Albtraum. Ermittlungen in solchen Fällen
gestalteten sich meist schwierig, weil das eigentliche Ziel eines solchen Anschlags
nicht bekannt war. Und dass hier ein Anschlag vorlag, das spürte er. Dafür
brauchte er keine Spezialisten der Feuerwehr, die gerade im Begriff waren, den
Tatort nach allen Regeln der Kunst zu zertrampeln. So schwand auch das letzte
Fünkchen Hoffnung, in diesem Garten einen Fußabdruck oder sonstige
wichtige Spur zu finden.
Nachdem er die Schaulustigen alle in ihre Häuser zurückgeschickt hatte,
näherte er sich dem Zentrum des Geschehens. Das betroffene Haus gehörte
dem Anwaltsehepaar Sommer. Steinreich und gnadenlos - so waren sie in
der Stadt bekannt. Wenn die beiden das Ziel waren, dann könnte es viele
Verdächtige geben, dachte Ossenbrink. Bei ihrer Erfolgsquote, Verbrecher
auf freien Fuß zu bekommen und die Angehörigen der Opfer damit vor
den Kopf zu stoßen, könnte so manch einer auf den Gedanken kommen,
sie zu töten. Aber gleich so spektakulär?
Er betrat den Garten. Ein grauenvoller Anblick bot sich ihm. Überall lagen Körperteile.
Die Überlebenden wurden ärztlich versorgt. Viele jammerten, einige schrien.
Um sich davon abzulenken, besah er sich die Umgebung. Dabei stellte er fest,
dass sämtliche Fenster des Party-Hauses zersplittert waren. Die Terrassentür
hing in den Angeln. Der Zaun war weggefegt und in Nachbars Garten verteilten
sich weitere Leichenteile.
Was ihm besonders auffiel, war die Bauweise der Wohnhäuser mit ihren dazugehörigen
Gartenlauben. Jeder Garten war mit so einem Schuppen ausgestattet - auch
das Haus des Gastgebers. Neugierig ging er darauf zu, weil er dort nur geringfügige
Schäden erkennen konnte. Das kleine Häuschen war gemauert und mit
einer schweren Eisentür gesichert. Er öffnete die Tür und leuchtete
alles mit seiner Taschenlampe aus. Auf den ersten Blick konnte er nichts erkennen,
weshalb er einige Kollegen der Spurensicherung dorthin bestellt.
Doch leider sollte sich dieser Hoffnungsschimmer innerhalb kurzer Zeit in Nichts
auflösen. Trotz akribischer Suche wurde kein Hinweis gefunden, dass dort
Sprengstoff gelagert worden war. Auch konnten keine Schuhabdrücke gefunden
werden. Nichts. Die Hütte war blitzblank sauber.
Blieb ihm nur die Zeugenbefragung. Ohne große Hoffnungen steuerte er
das erste Haus in der Straße an. Sofort bekam er die Information, den
Gärtner des Anwaltsehepaars unter die Lupe zu nehmen. Er bedankte sich
und ging. "Der Mörder ist immer der Gärtner", ging ihm
durch den Kopf. Solche banalen Sprüche konnten sie sich bei ihm sparen.
Doch im nächsten Haus bekam er die gleiche Information. Das ließ
ihn nun doch stutzig werden. Als er im dritten Haus wieder auf den Gärtner
angesprochen wurde, stellte er dazu seine erste Frage: "Wie heißt
der Gärtner? Und wo wohnt er?"
"Er heißt Horst Welker und wohnt im letzten Haus in der Straße."
"Warum glauben Sie, dass Horst Welker der Täter ist?"
"Weil er immer versucht hat, sich mit der Familie anzufreunden, aber die
Sommers hatten kein Interesse an ihrem Gärtner."
Ossenbrink bedankte sich und suchte das nächste Haus auf. Auch dort bekam
er die gleiche Geschichte zu hören. Nun endlich nahm er diese Vermutungen
ernst. Auf keinen Fall konnte es schaden, sich Horst Welker mal genauer anzuschauen.
"Aber passen Sie auf", warnte die schrullige alte Dame. "Wenn
Horst diese Bombe bauen konnte, ist er gefährlich."
Ossenbrink rief seine Kollegen zusammen und steuerte das letzte Haus in der
Straße an.
Auf sein Klingeln öffnete niemand. Dabei wusste er, dass Horst Welker zu
Hause sein musste. Laut Angaben der Nachbarn hatte er nach der Explosion zusammen
mit den anderen auf der Straße gestanden.
Nach wiederholtem Klingeln ging er den schmalen Pfad entlang, der dicht am Haus
vorbeiführte. Kaum war er um die Ecke, sah er sich vor einem langgezogenen
Garten, in dessen Mitte die obligatorische Gartenlaube stand. Ein kleines Fenster
war erleuchtet. Also hielt sich der Gesuchte dort auf.
"Er ist im Gartenhaus", informierte er seine Kollegen. "Wir
werden ihn jetzt auffordern, herauszukommen."
Die Polizeibeamten postierten sich vor der Eisentür.
Ossenbrink klopfte an und rief: "Herr Welker! Wir wissen, dass Sie da
drin sind. Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus!"
Nichts geschah.
Ossenbrink wiederholte seinen Spruch.
Immer noch nichts.
Nach dem dritten Aufruf wurde es ihm zu bunt.
"Wir gehen rein!"
Vorsichtig drückte er die Türklinke herunter. Sie war nicht verschlossen.
Lautlos gab er den Kollegen ein Zeichen und sprang mit vorgehaltener Waffe herein.
Das Einzige, was ihm sofort ins Auge fiel, war die Linse einer Webcam. Da wusste
er, dass er in eine Falle gelaufen war.
Den Knall der Explosion, die ihn und seine vier Kollegen in den Tod riss, hörte
er nicht mehr.
Horst saß in seinem Auto auf dem Autobahnzubringer und behielt die Bilder
auf seinem Laptop genau im Auge. Es war ein himmlisches Vergnügen zuzusehen,
wie der eingebildete Ossenbrink vor laufender Kamera sich und seine Männer
in den Tod riss. Die glaubten wohl, sie wären schlauer als er.
Er lachte, startete seinen Wagen und fuhr seinem nächsten Ziel entgegen.
Ein neues Jahr, eine neue Stadt, eine neue Identität. Mal sehen, welche
Menschen ihn dort erwarteten.
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