Kurzkrimis

Würfelspiel

Eine unheilvolle, drohende Stimme verfolgt sie. Der Park ist dunkel und einsam, der Weg ist noch weit und sie spürt, wie die Angst in ihr aufsteigt. Sie geht schneller, will fliehen, aber der Stimme kann sie nicht entkommen. In der Ferne erblickt sie einen Fremden. Ist das ihr Retter oder ihr Verfolger?

Würfelspiel

Die Stimme

"Das Leben ist ein Spiel!"
Was höre ich da? Täuschen mich meine Sinne? Ich schaue mich um. Der Stadtpark ist groß, voller Bäume und Sträucher, ein geeigneter Platz, um jemanden zu erschrecken. Mein kritischer Blick zum Himmel verheißt mir auch nichts Gutes. Die Dunkelheit schreitet voran. Es ist Herbst, die Tage werden immer kürzer, was für mich bedeutet, dass meine Arbeitstage in der Dunkelheit beginnen und in der Dunkelheit enden.
Ich gehe weiter.
Vermutlich haben mir meinen Nerven einfach nur einen Streich gespielt. Wind frischt auf und rüttelt an meiner Jacke. Ich schlage den Kragen höher und beschleunige meine Schritte.
"Du wirst heute um dein Leben spielen!"
Das ist keine Einbildung.
Angst kriecht in mir hoch. Ich schaue mich um, sehe einen Schatten hinter dem dicken Stamm einer Eiche verschwinden.
"Wer sind Sie? Was wollen Sie?", rufe ich in meiner Verzweiflung.
"So viele Fragen! Tss, tss, tss!"
Ich bekomme Gänsehaut. Ängstlich schaue ich nach vorn. Mein Weg ist noch weit.
Ich beschleunige meine Schritte.

Der schwarze Mann

Plötzlich sehe ich einen schwarz gekleideten Mann in einiger Entfernung vor mir. Meine Rettung, denke ich.
Zielstrebig steuere ich ihn an, rufe ihm etwas zu, in der Hoffnung, dass er mir zu Hilfe eilt.
Doch es kommt anders.
Ganz unverhofft macht er einen Satz zur Seite.
Weg ist er!
Der kleine Hoffnungsschimmer hat sich in Verzweiflung verwandelt. Panik kommt in mir auf.
"Reingelegt!" Ein hämisches Lachen begleitet dieses gemeine Wort.
Ich schaue mich um. Niemand zu sehen. Nur endlos weite Wege, die von gelegentlichen Laternen beleuchtet werden. Es bleibt mir keine andere Wahl als zu laufen, so schnell ich kann. Zum Glück bin ich sportlich. Hoffentlich unterschätzt mich der Verrückte.
Ich sprinte los.
Doch weit komme ich nicht, schon packt mich ein eiserner Griff am Kragen und zerrt mich zurück. Ich strauchele. Als ich endlich mein Gleichgewicht wiederhabe, schaue ich in eine lachende Maske, die unter einer schwarzen Kapuze steckt.
"So spielen wir nicht", donnert seine tiefe Stimme durch das Plastik der Maske. Sein böser Tonfall und das lachende Gesicht dazu sind geradezu grotesk. Ich zittere am ganzen Körper.
"Ich bestimme die Regeln."
Er drängt mich auf eine Sitzgruppe zu und drückt mich auf die hintere Bank nieder.
"Welches Sternzeichen bist du?"

Sternzeichen Jungfrau

"Jungfrau", antworte ich mit bebender Stimme.
"Ha ha!", lacht der Wahnsinnige, dass mir die Haare zu Berge stehen. "Dann bist du ein einfühlsamer Mensch. Was habe ich doch für ein Glück!" Ich sehe durch die Löcher in der Maske zwei Augen böse auf mich herabfunkeln. "Man sagt der Jungfrau nach, sie hätte das richtige Feingefühl dafür, was richtig und was böse ist!"
Er wartet, als wolle er eine Reaktion von mir hören. Aber ich sage nichts dazu.
"Außerdem bringen Jungfrauen gerne Ordnung ins Chaos. Das heißt, dass du es kaum noch erwarten kannst, das Spiel um dein Leben mit mir zu spielen."
Eiseskälte steigt in mir hoch.
Der Verrückte nimmt plötzlich etwas aus seiner Jackentasche. Im schwachen Schein der Laterne kann ich erkennen, dass es ein Würfel ist. Meine Augen werden groß.
"Ich sehe, dass du schon weißt, welches Spiel wir spielen." Er lacht.
Ich schaue mich um, suche einen Fluchtweg. Plötzlich verstummt sein Lachen. "Allein der Versuch ist tödlich", höre ich plötzlich seine Stimme ganz dicht an meinem Ohr.
Wieder zieht er etwas aus seiner Jacke. Dieses Mal ist es ein Strick. Damit fesselt er mich an die Bank.
"Weißt du, Susi wollte sich auch nicht an die Regeln halten."
Mir wird schwindelig.
"Du kennst doch Susi, oder?"
Susi ist meine beste Freundin. Schon seit Tagen habe ich nichts mehr von ihr gehört.
"Sie war viel zu unkonzentriert. Deshalb hat sie das Spiel verloren."
Jetzt begreife ich den Zeitungsartikel, den ich heute gelesen habe. Die Polizei hat eine unbekannte Frauenleiche gefunden. An eine Parkbank gefesselt, mit einem Würfel im Mund. Ich schaue mich um. Meine eigene Situation sieht genauso aus. Bin ich die Nächste?
Mir wird schwarz vor Augen.

Spielregeln

Plötzlich spüre ich leichte Schläge in mein Gesicht.
"Aufwachen!" Wieder dieses Lachen. "Wir wollen doch unseren Spaß haben, nicht wahr?"
Er zeigt mir den Würfel. "Hier siehst du die Zahlen eines Würfels."
Ich nicke.
"Das Spiel beginnt!"
Ich starre ihn voller Panik an.
"Jetzt sag mir eine Zahl zwischen eins und sechs!"
Verständnislos schaue ich in das maskierte Gesicht.
"Kennst du das Würfelspiel nicht?"
Ich verneine.
"Zuerst nennst du mir eine Zahl. Dann werde ich würfeln. Anschließend sehen wir nach, ob du die richtige Zahl genannt hast", erklärt er. "Wenn ja, lasse ich dich am Leben." Er macht eine theatralische Pause. "Wenn nicht, wirst du jetzt und hier sterben."
Tränen laufen über mein Gesicht.
"Hey! Das sind verdammt gute Chancen."
Ich zittere am ganzen Körper, doch der Wahnsinnige drängt: "Los jetzt! Du bekommst diese Chance nur einmal!"
Also sage ich: "Fünf!"
Der Würfel fällt...

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