Von den Alten wird gesagt, sie hätten viel Lebenserfahrung. Sicherlich stimmt es tendenziell in vielen Fällen. Je älter jemand ist, desto mehr hat er (meistens) erlebt, etwa viele Menschen kennengelernt, schwierige Situationen durchgestanden, entsprechend viele Erfahrungen gemacht. Doch führt das zwingend zu mehr Lebenserfahrung?
Ist Lebenserfahrung gleich Lebenserfahrung?
Wir alle kennen den sogenannten Generationenkonflikt. Viele der "Alten"
fühlen sich von den "Jungen" missverstanden - und umgekehrt.
Woran liegt das? Erstere meinen oft, das Letztere noch nichts vom Leben verstehen
würden. Natürlich will man das, gerade wenn man die Hochphase der Pubertät
erlebt, nicht unbedingt hören. Heranwachsende möchten in ihrer Persönlichkeit
auch ernstgenommen werden.
Tatsächlich ist das Phänomen Lebenserfahrung sehr tiefgründig.
Es wurzelt in Vergangenheit und Zukunft und wird sogar oft als Erziehungsmittel
missbraucht.
Das Lebenserfahrungsargument als Erziehungsmittel
Die Pubertät ist eine wichtige Entwicklungsphase. Der Heranwachsende muss
sich um Fragen seiner Identität kümmern, sich in der Welt zurechtfinden,
seinen Platz einnehmen. Erste Partnerschaften werden erlebt, die erste große
Liebe.
Viele Eltern erwarten, dass mit dem 13. Geburtstag ihrer Tochter/ihres Sohnes
nun Probleme aufkommen. Sie geben plötzlich ungefragt Ratschläge, erlassen
Ge- und Verbote. Dies wird nicht selten so begründet: "Du hast noch
keine Lebenserfahrung, wir schon!" Das Lebenserfahrungsargument wird so
zweckentfremdet.
Die Hirnentwicklung in den ersten Lebensjahren
Wohl die meisten, die sagen, sie würden alles vom Leben wissen, irren sich. Nur ist ihnen das nicht bewusst. Was gar nicht wahrgenommen wird, weil es die Masse nicht weiß: Wir Menschen handeln oft so, wie wir es seit der Kindheit gewohnt sind. Unser Gehirn saugt gewissermaßen die Gepflogenheiten, Wertevorstellungen und Kommunikationsmuster unseres sozialen Umfelds auf. Das Hirn "verdrahtet" sich so, wie unsere Bezugspersonen dies vorgeben. Hieraus folgt, dass im Erwachsenenalter vieles "in geregelten Bahnen" abläuft - unser Charakter wurde ja schon früh geprägt. Bei vielen Menschen heißt Lebenserfahrung im engen Sinne des Wortes: Sie haben das erlebt, was ihnen die Einflüsse der frühen Kindheit vorgegeben haben. Und dies ist dann manchmal nur sehr wenig.
"Schlechte" Erfahrungen sind meistens gute Erfahrungen
Wenn das Leben in den beschriebenen geregelten Bahnen verläuft, hat man gleichzeitig
Scheuklappen auf, die den Blick nach rechts und links verbauen. Dabei sind Offenheit
und Experimentierfreudigkeit der Lebenserfahrung sehr dienlich. Natürlich
macht man dabei auch hin und wieder schlechte Erfahrungen, aber die erweitern
die Lebenserfahrung.
Dies gilt aber nicht in jedem Fall. Denn: Hat jemand, der im Laufe seines Lebens
fünf Ehefrauen verschlissen hat, mehr Lebenserfahrung als einer, der 50 Jahre
mit derselben Partnerin verheiratet ist? Nun, nicht unbedingt. Denn vielleicht
ist er nur immer wieder auf denselben Typ reingefallen, obwohl er das eigentlich
gar nicht wollte.
Wege zur Lebenserfahrung 1
Wer seine Lebenserfahrung fördern will, ist gut damit beraten, hin und wieder andere Städte und Länder zu bereisen. Man trifft andere Menschen, die wiederum durch einen anderen kulturellen Kontext geprägt wurden als man selbst. Natürlich trifft man auch auf bekannte menschliche, allzu menschliche Phänomene (Eitelkeit, Neid, Narzissmus...). Doch solche Reisen sollen ja die Lebenserfahrung bereichern. Studieren Sie die Mentalitäten, die in anderen Städten und Ländern vorherrschen - dies erweitert Ihren Horizont.
Wege zur Lebenserfahrung 2
Eine noch wirksamere Methode, seine Lebenserfahrung auszubauen, ist die Praxis
von unterschiedlichen Rollen (Charakteren) und Jobs. Dies sorgt für einen
eindeutigen Perspektivenwechsel.
Schlüpfen Sie doch mal in die Rolle eines "Machos", eines "It-Girls",
eines "Schüchternen", "Extrovertierten"... Dazu
gehört natürlich auch das entsprechende Outfit.
Sie werden sehen, dass eine neue Rolle dazu führt, dass man völlig andere
Menschen anzieht als sonst. Ähnliche Auswirkungen hat es, wenn sie eine völlig
ungewohnte Beschäftigung ausüben. Ein Tag reicht schon. Jobben Sie doch
mal in der Erlebnisgastronomie, auf dem Bau, Feld oder Amt. Dadurch fördern
Sie Ihre Lebenserfahrung nachhaltig, weil sie wirklich mit Herz und Verstand in
andere Welten eintauchen. Und das kann so mancher Alter, der meint, er hätte
"alles" erlebt, nun wirklich nicht von sich behaupten.
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