Anna Freud hat in den 1930er-Jahren ein Buch veröffentlicht, in dem sie die Erkenntnisse ihres bekannten Vaters weiterentwickelte. Es hat den Titel "Das Ich und die Abwehrmechanismen". Hierin beschreibt sie verschiedene Arten der Selbst- und Fremdtäuschung, denen eigentlich jeder Mensch mal auf den Leim geht. Es handelt sich dabei um unbewusste Mechanismen. Wer jetzt denkt: "Ach, das ist doch uralter Quatsch", dem sei gesagt: Die moderne Sozialpsychologie hat alle Freud'schen Abwehrmechanismen wissenschaftlich untersucht und durch verschiedene Experimente bestätigt. Das Wissen um die einzelnen Phänomene gehört in das Repertoire eines jeden Menschenkenners.
Rationalisierung
Sehr mühselig - für den Gesprächspartner - ist die
sogenannte Rationalisierung. Infolge einer Aktivierung dieses Mechanismus werden
eigene Fehler beziehungsweise unerwünschte Erlebnisse durch allerhand Kunstgriffe
"zurechtgebogen". Die Kündigung letztens war etwa "doch
gut, weil die Mitarbeiter alle Nieten waren". Die Ex hat "einfach
nicht zu mir gepasst", oder aber die letzte Niederlage im Sport ist deshalb
zustande gekommen, "weil die Platzverhältnisse so mies waren".
Das heißt, man sieht den Eigenanteil an einer Niederlage nicht ein, und
es wird alles daran gesetzt, am Ende mit "weißer Weste" dazustehen.
Es bedarf also einer gehörigen Portion Aufrichtigkeit, um diesen Mechanismus
bei sich selbst zu entkräften. Wie man mit Menschen umgeht, die anscheinend
den ganzen Tag "herum-rationalisieren", ist im Prinzip ganz einfach.
Je weniger Ihnen Ihr Gesprächspartner emotional bedeutet, desto weniger haben
Sie am besten mit ihm zu tun. Dem Anderen zu mehr Einsicht verhelfen, ist schwierig.
Hierfür müssen Sie ja den Finger in die Wunde legen und ihn mit seinem
Abwehrmechanismus konfrontieren. Ist der Betreffende Ihr Partner, können
Sie in einem "passenden Moment" das Thema anschneiden.
Verdrängung
Was wäre der Mensch ohne seine Kompetenz, schlimme, ja traumatische Erlebnisse
verdrängen zu können. Wir wären jeden Tag unglücklich, würde
uns diese Fähigkeit fehlen. Im Durchschnitt ist dieser Abwehrmechanismus
also durchaus nützlich und sinnvoll.
Nun gibt es aber auch Menschen, die keinerlei Kritik annehmen können. Sie
haben "immer alles richtig" gemacht oder "alles nur gut gemeint".
Leicht neigt der Gesprächspartner dazu, solche "Verdränger aus
Leidenschaft" zu verurteilen. Doch man muss bedenken: Hinter diesem Phänomen
stehen sehr große Ängste und ein sehr kleines Selbstbewusstsein. Daher
sollte man zunächst Mitleid aufbringen. Gemeinsam kann man dann in einem
guten Moment an der Reduktion dieses Mechanismus arbeiten. Aber das sollte vorsichtig
und mit Bedacht angegangen werden.
Verkehrung ins Gegenteil
Ein sicherlich extremer Abwehrmechanismus ist die Verkehrung ins Gegenteil (auch
"Reaktionsbildung" genannt). Hierbei wird eine starke Emotion nach
außen hin ins Gegenteil verkehrt. Das heißt, von außen wirkt
Antipathie dann wie eine "Scheißfreundlichkeit"; und Zuneigung
kommt infolge dieses Mechanismus irgendwie fies rüber (Sie kennen ja das
Sprichwort: Was sich liebt, das neckt sich).
In manchen Berufen etwa muss man mit vielen Kunden kommunizieren, die bekanntlich
"Könige" sind. Zu jedem muss man entsprechend freundlich sein,
auch wenn die eigene Stimmung zu wünschen übrig lässt. Dann schimmert
die eigene Stacheligkeit oft doch auf ganz bestimmte Weise durch.
Daher gilt: Nehmen Sie Anfeindungen nicht immer persönlich, manchmal stellen
sie nämlich eigentlich Sympathiebekundungen dar. Auf der anderen Seite: Verzeihen
Sie unfreundlichen Mitarbeitern; sie müssen den ganzen Tag über gute
Miene zum bösen Spiel machen. Das hält niemand auf Dauer durch. Ist
nicht persönlich gemeint!
Identifizierung
Der Einfluss, den unsere Eltern auf uns ausüben, ist nicht von der Hand zu
weisen. Und so sehr wir uns auch - soll es geben - von ihnen unterscheiden
wollen: In manchen Momenten sind wir genau wie sie! Dies merken manche etwa im
Umgang mit den eigenen Kindern. Und obwohl "man das nie wollte", lässt
man doch einige Erziehungsmethoden der Eltern in die eigene Erziehung mit einfließen.
Dies liegt daran, dass wir in unserer Kindheit viele Verhaltensweisen unserer
Bezugspersonen verinnerlichen. Später werden diese unbewusst aktiviert und
beeinflussen unser eigenes Verhalten. Wir identifizieren uns dann unbewusst mit
unseren Eltern.
Doch nicht nur dieser Aspekt ist erwähnenswert. Streiten wir etwa mit dem
Partner, so kommt es manchmal zu dem interessanten Phänomen, dass wir mit
einer bestimmten Mimik und einer bestimmten Tonlage bestimmte Gesprächsinhalte
kommunizieren. Sie ahnen es schon: Dann spricht Vater oder Mutter aus uns.
Daher ist wieder Achtsamkeit vonnöten: Lassen Sie es nicht zu, dass der Partner
durch verschiedene Aktionen Ihre verinnerlichten Eltern aktiviert! Über das
Thema können Sie auch gerne einmal mit Ihrem Partner reflektieren - wenn es geht: mit Humor!
Verlagerung
Wer im Umgang mit Autoritäten Frust aufbaut, weil er autoritätsgläubig
ist, und auf der anderen Seite seinen Unmut an Schwächeren auslässt,
der ist aller Wahrscheinlichkeit nach beeinflusst vom Abwehrmechanismus "Verlagerung".
Opfer dieser Aggressions-Verschiebung sind meistens hilflose Menschen, etwa der
Partner, die eigenen Kinder oder Tiere.
Ganz schnell lässt sich der Betreffende aus der Fassung bringen. Im Beruf
buckelt er nach oben, macht sich durch Duckmäuserei beliebt - und nach
"unten" tritt er seinen Frust weg. Da dieser Abwehrmechanismus selbstredend
sehr unmoralische Verhaltensweisen nach sich zieht, liegt es in der Verantwortung
von jedem, dahingehend zu reflektieren und sich zu kontrollieren.
Sich selbst und anderen auf die Schliche kommen
Jeder Mensch ist potenziell anfällig für Abwehrmechanismen. Es gilt
die Faustformel: Je mehr Selbsterkenntnis vorherrscht, desto weniger Abwehrmechanismen
hat jemand nötig. Hieraus folgt: Arbeiten Sie an einem gesunden Selbstwertgefühl.
Erschaffen Sie etwas, das Ihnen soziale Anerkennung bringt.
Auf der anderen Seite sollte man die Paar-Kommunikation fördern (das geht
auch mit guten Freunden). Sie können etwa diese Liste mit Abwehrmechanismen
gemeinsam mit dem Anderen durchgehen und authentische Gespräche führen.
Auf diese Weise kommt man sich selbst und anderen auf die Schliche. Man wird authentischer
und - glücklicher.
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